Mein privates Holland-Tanzfestival

Fünfmal Hans van Manen und dreimal Jiří Kylián auf DVD

oe
Stuttgart, 17/09/2007

Also wenn ich in Amsterdam schon nicht dabei sein kann, hole ich mir ein alternatives Hans-van-Manen-Festival eben in meine Wohnung in Stuttgart – und erweitere es gleich noch um ein Jiří-Kylián-Supplement. Möglich macht das die Doppel-DVD „Choreographies by Hans van Manen“, die pünktlich zum Festival bei Arthaus Musik erschienen ist (2 DVDs, 63 und 38 Minuten, plus 17 und 22 Minuten Introductions, auf 101 501) und die gleichzeitig veröffentlichte DVD „Nederlands Dans Theater Celebrates Jiří Kylián, ebenfalls bei Arthaus Musik (92 Minuten plus 36 Minuten Introduction, auf 102 099). Das addiert sich zu den sechs van-Manen-Balletten „Déja vu“, „Solo“, „Kammerballett“ und „The Old Man and Me“, getanzt von Mitgliedern des Nederlands Dans Theaters (auf I) sowie „Frank Bridge Variations“ und „Two Pieces for Het“ mit Tänzern von Het Nationale Ballet (auf II) – und den drei Stücken von Kylián „Bella Figura“, „Sleepless“ und „Birth-Day“, ausgeführt von Tänzern aller drei Kompanien des Nederlands Dans Theaters (also noch vor der Auflösung von NDT III). Und als ob das nicht genug wäre, habe ich noch die schon früher erschienene DVD „black & white“ angehängt, mit den Kylián-Choreografien von „Falling Angels“, „Six Dances“, „No More Play“, „Sweet Dreams“ „Sarabande“ und „Petite Mort“ (ebenfalls Arthaus Musik, 101 Minuten, auf 100 084). Also ein regelrechtes Van-Manen-Kylián-Festival – bei mir zu Hause in Stuttgart!

Holland kann sich wirklich glücklich schätzen, zwei Choreografen von diesem Format in seinen beiden Top-Kompanien zu haben, die einander so ideal ergänzen – das gibt es nicht noch einmal irgendwo auf der Welt (gab es einmal beim New York City Ballet, als Balanchine und Robbins noch lebten). Beide klassisch geschult, haben sie sich in konträre Richtungen entwickelt – und dabei ihre ganz individuellen Handschriften ausgeprägt, so dass man auf Anhieb sagen kann: dies ist unverkennbar ein van Manen und dies ein Kylián – wie bei den Sängern ihr individuelles Timbre. Dabei verfolgen sie ausgesprochen unterschiedliche Konzepte. Das wird ganz klar in den Gesprächen, in denen sie sich in den Einführungen zu ihren jeweiligen Stücken äußern – wohl mit dem Verfasser der sehr informativen Texte im Begleitheft, Eddie Vetter (auf Englisch, Holländisch und Deutsch – zusätzlich sind die Gespräche auch spanisch, französisch und italienisch untertitelt – wie denn überhaupt die ganze Edition mustergültig präpariert erscheint). So dass man von den beiden Persönlichkeiten einen ungemein charakteristischen Eindruck bekommt. Von van Manen als einem guruhaft blinzelnden, mit vielen humoristischen Pointen und ironischen Schlenkern aufwartenden Altmeister und von Kylián als einem Philosophen, der das Leben (und mit ihm den Tanz) als Spanne zwischen Geburt und Tod betrachtet.

Van Manen ist klar der musikprogrammierte Formalist und Strukturalist, ein Ästhetiker par excellence (auch in seiner ständigen Zusammenarbeit mit Keso Dekker als Designer), dessen Markenzeichen die diagonal ausgestreckten Arme sind. Sie präsentieren den Körper des Tänzers in maximaler Ausdehnung (wie eine Zeichnung Leonardo da Vincis) und fungieren gleichsam als Antennen für die Musik, die durch sie in den Körper fließt und den Bewegungsstrom generiert. Was seine Tänze so ungemein kraft- und energiegeladen erscheinen lässt. Wie wenn sie durch die Musik in den Raum geschossen werden. Kylián hingegen arbeitet ausgesprochen introvertiert, lässt sich von der Musik zu seinen Erkundungen in den Labyrinthen der Seele inspirieren (aber nie antreiben) – weit entfernt von jeglicher Realität, so dass man bei ihm nie genau weiß, wo die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und dem Traum liegen – genau wie in den von ihm selbst entworfenen (Licht-)Räumen (während er sich die Kostüme durchweg von Joke Visser entwerfen lässt). Ein Schlüsselwerk in dieser Beziehung ist „Sleepless“ mit der durchlässigen Lamellenwand (à la Lucio Fontana), das ich für eine der ganz großen Kreationen unseres gerade begonnenen Jahrhunderts halte. Er spielt auch gerne mit Schattenwirkungen und filmischen Überblendungen, dass man den Eindruck einer hinter ihrer körperlichen Erscheinungsform existierenden Wirklichkeit ahnt.

Größte Bewunderung für die phänomenalen Leistungen der beteiligten Tänzer des holländischen Nationalballetts und des Nederlands Dans Theaters, die Junioren sowohl wie die Senioren um Sabine Kupferberg, Gérard Lemaitre und Egon Madsen, die sowohl bei van Manen („The Old Man and Me“) wie bei Kylian („Birth-Day“) Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpfen. Wie denn überhaupt die beiden (beziehungsweise drei) DVDs sogleich zu Beginn der neuen Spielzeit ihren Anspruch als Kandidaten für die Kategorie der besten DVDs in der Bilanz im nächsten Sommer anmelden.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge