„La Canción de Margarita“

Deutsche Erstaufführung beim Festival „Dance: Meeting Catalan Culture“ im Künstlerhaus Mousonturm

Frankfurt, 04/10/2007

Das war ein fulminanter Einstieg in die katalanischen Tanzwochen im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt. Die 1991 in Barcelona gegründete Gruppe Senza Tempo zeigte in deutscher Erstaufführung das Tanztheater stück „La Canción de Margarita“. Choreografiert von Inés Boza, Gründerin und Leiterin der Gruppe. Mousonturm-Direktor Dieter Buroch erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass die katalanische Tanzszene in den 1970/80er Jahren für Furore und in Deutschland für Empörung sorgte. Das Zünden von Feuerwerkskörpern unter den Zuschauersitzen hatte nicht gerade für Amüsement gesorgt und das Ordnungsamt auf den Plan gerufen. Doch auch die katalanischen Choreografen seien allmählich ruhiger geworden, beruhigte er gleich darauf. Was nicht bedeutet, dass südländisches Temperament verloren gegangen ist, wie die Aufführung bewies.

„La Canción de Margarita“ ist ein Stück aus der Sicht von Frauen und über das Leben von Frauen, die unter der Franco-Diktatur und dem Bürgerkrieg gelitten haben. Die Gruppe Senza Tempo arbeitet von Anfang an mit schauspielerischen Elementen und zeitgenössischer Tanzsprache, integriert ganz selbstverständlich Sprache und Bildprojektionen. Die Verbindung zwischen Visuellem und Verbalem ist zentrales Element der katalanischen Kultur, die immer um ihre Eigenständigkeit und den Erhalt ihrer Sprache kämpfen musste; darauf weist Borja Sitja vom Institut Ramon Llull im Programmheft hin.

Es sind nur fünf Tänzerinnen (Sarah Anglada, Alba Barral, Anna Briansó, Viviane de Moraes, Mercedes Recacha) und ein Tänzer (Nel lo Nebot) auf der Bühne, aber diese sechs schaffen es innerhalb kürzester Zeit ein Feuerwerk an Emotionen zu zünden, mit Liedern fröhliche oder traurige Stimmung zu erzeugen, mit Schreien und Lachen für lautstarkes Chaos und Szenen voller Verrücktheiten zu sorgen, die das gemäßigte mitteleuropäische Temperament fast überwältigen. Auch die Musikauswahl ist eine, die Emotionen hervorruft, die ohne Scheu vor Pathos von großer Trauer und großer Liebe erzählt, von Aggressivität und Hass, und vom alltäglichen Wahnsinn. In zwei Szenen kommen Kastagnetten zum Einsatz, die als Rhythmusinstrumente zur Intensivierung der Erzählung oder Darstellung genutzt werden. Auf der Rückwand sind die Projektionen von Fotografien und Filmausschnitten zu sehen, entweder Fotos aus Familienalben oder Menschen auf Wanderung.

Den Einstieg gibt eine Trauerszene mit ritualisiertem Gruppengebet: schwarz gekleidet, fallend und auf Knien rutschend führen sie die immer gleichen Bewegungen aus. Von ständigen Wiederholungen sind die meisten Szenen geprägt, dazwischen wird die Einsamkeit des Individuums vorgeführt, wenn zwar alle auf der Bühne sind, aber jede mit ihrem eigenen Traum und Wahn beschäftigt ist. Dazwischen immer wieder kurze Sentenzen von Lebensfreude und Frauensolidarität, von amüsanten Erinnerungen an kuriose Verhaltensweisen der Großmütter: die eine saß nur im Sonntagsstaat vor dem Fernseher, weil sie glaubte, dass die Schauspieler sie sähen, die andere war auch mit 80 Jahren noch verliebt in Clark Gable. Lange, fließende Kleider und Stöckelschuhe, lang ausfahrende Arme und Körperkreisen, die Symbolik der Haare und das häufige Nutzen von Stühlen – so manches erinnert stark an Pina Bausch-Stücke und hat doch eine eigene Prägung.

Zwei der Darstellerinnen erzählen auf der Bühne die Erlebnisse von vier Großmüttern, die stellvertretend stehen für das, was Frauen im Krieg erleiden mussten. Für die deutschen Zuschauer gibt es die Kernsätze auf zwei seitlichen Projektionsschirmen. Eine Mutter von elf Kindern verließ ihren Mann nach vielen Streits, eine andere verheimlicht ihren Kindern, wer ihren Vater umgebracht hat, damit sie nicht im Hass groß werden und leben müssten. Großmutter Estrella wurde bei einem Bombenangriff das Kind aus den Armen gerissen; der nach der Erzählung folgende Schrei der Darstellerin ist markerschütternd, die nicht nachlassenden Tröstungsbemühungen der anderen tief berührend. Großmutter Margarita suchte ihren inhaftierten Mann, wanderte tagelang zu den Gefängnissen, um dann zu erfahren, dass er längst hingerichtet wurde. Darauf folgt eine zauberhaft behutsame Liebesszene, die den Verlust umso deutlicher macht.

Wenn man schon glaubt das Ganze sei nicht mehr steigerungsfähig, dann kommt die jüngste und zarteste Tänzerin im weißen Spitzenkleid, mit Ballettschuhen und offenen Haaren wie von einem Rauschgoldengel auf die Bühne. Zuerst wird sie von den anderen (erwachsenen) Frauen begutachtet und geherzt, doch das Zupfen und Zurechtrücken wird zur Tortur unter der sie wie eine Puppe zerbricht. Das „Lämmchen“ wird dann von einem Mann an den Haaren gezerrt und geschleift, geschüttelt und gebogen, bis sie tot umfällt; allein diese schier nicht enden wollende Manipulation zerreißt einem das Herz. Danach verfällt die Mutter des Lämmchens in Wahnsinn, tapst als alte Frau mit offenen roten Haaren durch die Szene (wie die wahnsinnige Kate von Shakespeare in der Darstellung des Malers Füssli). Am Ende steht das Bild der leeren Straße, die ins Unendliche führt und alle, bis auf die Alte, laufen auf Stöckelschuhen in Reihe vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück... Bleibt zu wünschen, dass von dieser Gruppe künftig noch mehr zu sehen sein wird auf deutschen Bühnen.


Das Festival Dance: Meeting Catalan Culture im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm hat bis 14. Oktober noch einiges an Tanzabenden zu bieten. Dazu eine Videoinstallation mit Tanzkurzfilmen, ein Roundtable-Gespräch (11.10.), eine weitere deutsche Erstaufführung mit dem Teatre Nacional de Catalunya (12.10.) und am letzten Samstag eine Mestizo Catalunya Party zum Abtanzen.

www.mousonturm.de

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