Klang:Körper als musikalische Vexierbilder

Tetley, Robbins, Goecke und Spuck in neuer Zusammenstellung

oe
Stuttgart, 24/04/2007

Ein Ballettabend der B-Klasse – das heißt: Gebrauchtstücke, neu aufpoliert und auf Hochglanz gebracht. Vier an der Zahl – eine Quadriga der Oldtimer unter dem Titel „Klang:Körper“. Vier Markenprodukte aus der Choreografieschmiede der Glen Tetley, Jerome Robbins, Marco Goecke und Christian Spuck. Vier verschiedene musikalische Antriebsmotoren der Fabrikate Poulenc, Debussy, Cash und Schubert/Kurtag. Alle mit dem Stuttgarter tänzerischen Qualitätssiegel versehen. Für Abwechslung ist also gesorgt.

Erstes Modell, Baujahr 1973, Tetleys „Voluntaries“ zu Poulencs Konzert für Orgel, Streicher und Pauken – eine Luxuslimousine in schickstem Park-Avenue-Design, das erst langsam in Fahrt kommt, dann aber, am Volant Alicia Amatriain und Jason Reilly, assistiert von Elisa Carrillo Cabrera, Roland Havlica und Jirí Jelinek, mit Super-PS über die Bühne prescht und dabei einen ungeheuren Lärm verursacht. Die Damen von der Abschussrampe der Herren in die Luft katapultiert und dort die tollsten Kapriolen vorführend, um anschließend sicher von ihnen wieder aufgefangen zu werden, während ihre Kavaliere in eleganten Gleitflügen vom Boden abheben. Sicher das teuerste Stück der Show.

Danach dann das älteste und ganz sicher das solideste Modell, Jahrgang 1953 – von altersloser Schönheit und scheinbarer Einfachheit: Robbins‘ „Nachmittag eines Fauns“, Debussys schwül-träge Antiken-Beschwörung, transponiert in ein modernes Ballettstudio, vor dessen imaginärer Spiegelwand ein Tänzerpaar träge seine mit leichter Erotik aufgeladenen Exerzitien zelebriert. Was bei den Uraufführungstänzern Tanaquil LeClerq und Francisco Moncion vor einem halben Jahrhundert in New York als eine Studie von raffiniertester Kultiviertheit faszinierte, nimmt sich in Stuttgart, von den Jungstars Alicia Amatriain und Friedemann Vogel exekutiert, wie eine Einübung in ein Erwachsenenritual aus – hübsch anzusehen, aber von einer Generation vereinnahmt, deren Idol eher die Jungs von Tokio Hotel sind als der Monsieur Croche eines gewissen Debussy.

Und dann das jüngste Stück, das noch nicht einmal zwei Jahre alte „Äffi“ von Goecke zu Songs von Johnny Cash, als Ein-Mann-Produkt sozusagen ein Motorrad der Spitzenklasse. Dessen Kosetitel indessen in die Irre führt, denn dies ist ganz und gar kein Kuscheläffchen à la Knut, sondern ein Hochgeschwindigkeitsfahrzeug, das seine Muskeln wie in einem Bodybuilding-Studio gestählt vorführt. Von Marijn Rademaker gezähmt und minuziös kontrolliert, verfolgt man sein Muskelspiel wie eine in Bewegung geratene Landschaft, ein mobiles Körperterrarium, das von grollend-unheimlichen Kräften gespeist wird.

Zum Schluss „Das siebte Blau“, Christian Spucks Opus 3 zu Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, vom Jomelli Quartett auf der Bühne gespielt, das auch nach sieben Jahren noch immer nicht sein Geheimnis preisgibt – weder die Siebenzahl der beteiligten Tänzerpaare noch die Einsprengsel von György Kurtag und Dieter Fenchel und auch nicht die Notwendigkeit eines Umzugs der Musiker vom Bühnenhintergrund in die vordere rechte Ecke. Das „Verflixte siebente Jahr“ als Verdeutschung des englischen „Seven Year Itch“ (jedenfalls keine Adaption des seinerzeit vielgespielten Stücks von John van Druten)?

Ein Totentanz der Liebe, der Matthias Claudius, Schubert und Kyliáns „Petite Mort“ collagiert. Voller dunkel geheimnisvoller, ästhetisch berückender Bilder. Paare und Einzeltänzer, die aus dem Dunkel auftauchen und wieder dahin verschwinden. Sind Katja Wünsche, Oihane Herrero und Elisa Carrillo Cabrera die drei Todesbotinnen? Jedenfalls das beste Produkt jenes Jahrgangs 2000, das, anders als die damals am gleichen Abend präsentierten Exemplare von James Kudelka und Trey McIntyre seine Bewährungsprobe bestanden hat. Ich lese noch einmal die Kritik von Bernd Krause nach und werde mir erneut bewusst, wie sehr er der heutigen Stuttgarter Ballettszene fehlt.

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