„Kann Angela stolz auf uns sein?“

Eine Glosse von Stefan Sixt zur Frauenquote im Tanz

München, 12/12/2007

von Stefan Sixt

Ich verbringe meine Ferien immer in Schweden, dem Mutterland der Gleichberechtigung, und ich darf berichten, dass kein Tag vergeht, an dem nicht ein Politiker (bzw. eine Politikerin!) eine Frauenquote für Führungspositionen fordert. Auch bei uns in Deutschland ist die Frage aktuell; unsere Bundeskanzlerin allerdings will keine Quote sondern hofft auf das Einsehen der Unternehmen.

Da darf unsere Branche nicht abseits stehen! Wie also sieht es in Ihrem Tanzstudio aus? Ist der Chef weiblich oder männlich? Sind die Lehrer weiblich oder männlich? Wie steht es um Ihre ganz persönliche Quote? Kann Angela stolz auf Sie sein? Ich befürchte, sie kann! Ich habe meine Datenbank durchgesehen und darf berichten, dass 95 % der mir bekannten Leiter einer Ballettschule bzw. eines Tanzstudios weiblich sind. Ich habe tatsächlich auch männliche Vornamen gefunden. Berry in Dortmund, Thomas in Würzburg, Raimund in Nürnberg, Nicolas in Schweinfurt oder Erich in Augsburg.

Bei denen habe ich noch nachgeschaut, ob sie männliche Tanz- oder Ballettlehrer beschäftigen. Weitestgehend Fehlanzeige! Alle Stunden fest in weiblicher Hand.

Auf der Tanzlehrerseite also liegt der Frauenanteil bei ungefähr 99.9 %. Oder kennen Sie ein Studio, in dem ein hoch qualifizierter, charmanter und fleißiger junger Mann tagein tagaus Kinderballett unterrichtet? Kurzum: Angela kann stolz auf uns sein! Doch was passiert, wenn die Kinder größer werden und eine Tanzausbildung anstreben? Wie heißen die Leiter der großen modernen Tanzausbildungsstätten mit Vornamen? Samuel in Rotterdam, Kenneth in London, Dieter in Frankfurt, Jason in Dresden und immerhin eine gemischte Doppelspitze in München. Die überwiegende Zahl der festen Dozenten hingegen sind genau genommen Dozentinnen! Das hat etwas von Arzt und Arzthelferin. Ganz anders allerdings sieht es aus, wenn die vorbenannten Akademien stilbildende Gastdozenten und Choreographen einladen. Dann schnellt die männliche Quote urplötzlich in ungeahnte Höhen.

Nun habe ich einer alten Gewohnheit folgend zunächst über die zeitgenössischen Schulen gesprochen. Sieht es vielleicht bei unseren Kollegen vom Ballett besser aus? Nein! John in Hamburg, Gregor in Berlin, Tadeusz in Stuttgart und brandneu in München: Robert.

Doch lassen Sie uns die Welt des Tanzunterrichts verlassen und uns dem eigentlichen Objekt der Begierde zuwenden, den Brettern, die die Welt bedeuten, insbesondere die Bretter, die als Staats- oder Stadttheater vorbildlich für unsere gleichberechtigte Kunst- und Kulturerfahrung sorgen müssten. Wir danken Pina Bausch und der kleinen Schar choreografischer Amazonen, die die Lanze für ein weibliches Tanz-Theater hochhalten. Doch sie kämpfen einen ungleichen Kampf. Wie vor kurzem im Editorial von 'dance-for-you-magazine' zu lesen war, sind von 54 deutschen Ballettdirektor-Positionen gerade mal 10 weiblich besetzt.

Und wer prägt die Spielpläne der internationalen Festivalitis? In der Überzahl Männer wie Èdouard Lock, Nigel Charnock, Jan Fabre, Jonathan Burrows, Wim Vandekeybus, Akram Khan und andere Herren neben immerhin einigen international herausragenden Frauen wie Meg Stuart, Anne Anne Teresa De Keersmaeker oder Susanne Linke.

Letzte Frage: Wer managt den Tanz? Dance for you magazine hat im vorletzten Heft den Impresario Paul Seaquist vorgestellt. Ich denke auch an den Leiter der Tanzbiennale in Venedig, Ismael Ivo, ich denke an den Leiter der Tanzwerkstatt Europa, Walter Heun, an den Leiter der Tanzwochen Wien, Karl Regensburger, an Bernd Kaufmann von Movimentos, an Richard Wherlock von basel tanzt (na ja, die Schweiz ist halt konservativ) und andere Kollegen rundum in Europa.

Aber liebe Leser, ich denke auch an meine Verlegerin, Frau Mihaela Vieru, an Nina Hümpel von tanznetz.de, an die Leiterin des Tanzplans Deutschland, Madeline Ritter oder an die neu ernannte Leiterin der Tanzbiennale DANCE in München, Bettina Wagner-Bergelt.

Es gibt sie also, die Obertanzfrauen und ich appelliere an sie alle: Helfen Sie mit, dass andere Tanzfrauen sich in einem kollegialen Netzwerk behaupten können und sich nicht nur mit den Jobs als Choreografieassitentinnen, Probenleiterinnen, Dramaturginnen, Trainingsleiterinnen, Choreologinnen usw. begnügen müssen.

In unseren Tanzstudios sind nach einer groben Schätzung 98% der Schüler weiblich. In Tanzvorstellungen sieht es nicht viel anders aus und der Großteil der anwesenden Männer ist vermutlich sanft zu seinem vermeintlichen Glück gezwungen worden.

Der Tanz von heute hat damit eine fatale Ähnlichkeit mit der katholischen Kirche; der Großteil der Aktiven ist weiblich, die Chefs sind männlich. Ich denke, es ist an der Zeit, wieder einmal ein paar Protest-Thesen an die Kirchentür zu Wittenberg – oder in Zeitungen und ins Internet – zu nageln: 1. Weibliche Chefs ans Stadttheater! 2. Weibliche Chefs in die Akademien! 3. Quote für öffentliche Tanzfördermittel! 4. Ein hoch dotierter Frauentanzpreis! 5., 6., 7. - liebe Leser, ergänzen Sie die Liste und schreiben Sie Ihre Vorschläge im Anschluss an diesen Beitrag oder diskutieren Sie darüber hier in den Foren – wir werden sie an alle Ballettchefs und ihre Assistentinnen weiterleiten.


(Erstabdruck in dance-for-you-magazine 11/12-07)
Gastautor Stefan Sixt leitet seit 30 Jahren gemeinsam mit der schwedischen Choreografin Jessica Iwanson das Iwanson Dance Center .

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