Eine etwas flaue Moderne

Kenneth MacMillan und Lucinda Childs beim Bayerischen Staatsballett

oe
München, 24/05/2007

Ein merkwürdig flauer Abend, diese fünfte Vorstellung des neuen Programms, das zur Eröffnung der Münchner Ballettwoche 2007 am 28. April (gleichzeitig mit der Verleihung des Deutschen Tanzpreises in Essen) Premiere hatte (siehe tanznetz.de vom 1. Mai). Ein gut besuchtes Haus, der Beifall freundlich, aber eher pflichtschuldig. Kein Vergleich mit der Bombenstimmung bei meinem letzten Besuch anlässlich des Bolschoi-„Don Quixote“. Auf dem Programm: die „Chamber Symphony“ von Lucinda Childs, eine Neueinstudierung ihrer Münchner Kreation von 1994 zur gleichnamigen Komposition von John Adams, und Kenneth MacMillans „Lied von der Erde“, seine berühmte Mahler-Choreografie, uraufgeführt in Stuttgart 1965.

Das suggeriert historische Perspektiven, die von Ivan Liška, Direktor der Kompanie, auch besonders angesprochen werden im Hinblick auf seine Hamburger Tänzer-Vergangenheit als Solist so vieler Mahler-Kreationen von John Neumeier (der auffallender Weise um das „Lied von der Erde“ bisher einen großen Bogen gemacht hat – hat er es womöglich als sein Abschiedswerk vorgesehen?) Die Münchner Mahler-Schiene reicht indessen weiter zurück – bis zur lokalen Uraufführung unter Bruno Walter 1911. Doch so dankbar man auch war an diesem Abend unter der Leitung von Ryusuke Numajiri, mit den beiden Gesangssolisten Daniela Sindram und Martin Homrich, live vom Bayerischen Staatsorchester bedient zu werden (im Gegensatz zu Karlsruhe neulich, wo sich das Hausorchester offensichtlich mit der Musik von Minkus überfordert fühlte), was da an unsere Ohren drang, klang so zahn- und knochenlos wie die japanischen Gedichte, die der Liedsinfonie von Mahler zugrunde liegen. Das hieß den Realismus denn doch zu weit zu treiben.

Doch auch die Bühne blieb uns an diesem Abend jegliche tänzerisch-theatralische Verve schuldig. Lucinda Childs, auf Spitze, wirkte wie eine vorweggenommene Second Life Designer Choreografin – immerhin bereits sechs Jahre vor der Jahrhundertwende, als noch kein Mensch an eine Second Life Virtualität dachte! Schöne junge Menschen, mit idealen Körpern, technisch fit und virtuos, die in endlosen symmetrischen Schleifen über die Bühne jagen – ziellos, wenngleich immer ästhetisch anzusehen, wie computergezeugt, entworfen auf dem Bildschirm, ohne jegliche Humanität, in transparenten Kostümen vom Fashion Couturier Ronaldus Shamask, der auch das Reißbrettdekor entworfen hat – totschick wie ein Schaufenster-Environment an der Fifth Avenue. Bayerns Staatsballettisten als body-getrimmte Figuranten in einer Fantasy-Welt.

Jetzt, bei der Wiederaufnahme, wie ein Memorial für Rudolph Moshammer wirkend. Und das Memorial für MacMillan, das damals das Mahler-Ballettzeitalter einleitete? Das nimmt sich heute doch schon recht angewittert aus – die Farbe von Nicholas Georgiadis weitgehend abgeblättert und im Dämmerlicht der Beleuchtung reichlich graustichig, immer noch ansehnlich in seiner choreografischen Musikalität, die illustrativen Textausdeutungen (die Blumen pflückenden Mädchen und die frühlingstrunkenen Burschen) suggerieren ein inzwischen doch recht schal gewordenes Wandervogelpathos (das wir damals, bei der Uraufführung, noch als Jugendstilreminiszenzen registrierten). Keine Frage: „Das Lied von der Erde“ ist in die Jahre gekommen (und wir mit ihm), und ich könnte mir vorstellen, dass ein heutiger junger Choreograf einen Updating-Rettungsversuch seiner besten Teile (wie beispielsweise den ganzen Schlusssatz) unternimmt, denn das Ganze zieht sich doch sehr in die Länge, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass MacMillan, der ein viel zu musikalischer Sensibilist war, um Eingriffe in den musikalischen Ablauf zu wagen, sich zu choreografischen Füllseln genötigt sah, wo seine kreative Elementarkraft bereits erschöpft war.

Es kommt hinzu, dass die heutige Tänzergeneration, in technischer Hinsicht ihren Kollegen aus den sechziger Jahren um Klassen überlegen, nicht mehr die Fähigkeit zu einer so totalen emotionalen Identifikation mit dem immanenten Werkpathos hat, über die die Generation der Haydée, Madsen und Barra noch ungebrochen verfügte. So wirkt die durchaus professionelle und kompetente Münchner Einstudierung, erstklassig auch in der zweiten Besetzung mit Nour El Desouki, Marlon Dino, Natalia Kalinitchenko, Roberta Fernandes und Sherelle Charge in den Hauptpartien wie ein in Anführungsstrichen gesetztes Abziehbild des Originals vor über vierzig Jahren.

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