Ein Nachtrag zu „Mitten ins Herz“

"Don Quixote" in München

oe
Stuttgart, 07/05/2007

Da waren sich die vier Münchner Tageszeitungen (und das www.tanznetz.de au concours) ausnahmsweise einmal alle einig: das Bolschoi-Gastspiel mit „Don Quixote“ war eine Sternstunde des Balletts! So dass mir die Reaktion des kj „Mitten ins Herz“ vom 3. Mai nachträglich doch etwas mager erscheint. Ist ja erstaunlich, wie die beiden Image-Ballette der Kompanien von St. Petersburg und Moskau Arbeiten von je zwei Choreografen sind: „Schwanensee“ von Petipa und Iwanow (oder wird umgekehrt ein Schuh draus?) und „Don Q“ von Petipa und Gorsky. Der Newa-Klassiker ein Musterexemplar des akademischen Hochstils – der Moskwa-Klassiker ein Paradebeispiel der dramatischen Force theatrale. Und wie sich beide ideal ergänzen. Glückliche Ballett-Russen (ist ihnen ja auch wirklich zu gönnen, nachdem sie eine so vielfach leidgeprüfte Nation sind)!

Der Moskauer „Don Q“ ist ein tänzerisches Elementarereignis. Der Titelheld (Alexei Loparevich) – nicht, wie üblich, ein herumstaksender Ausgedinge-Mime, sondern ein ausgesprochen liebenswerter Utopist. Sein Begleiter Sancho Pansa (Sergey Minakov) ein erdhaft sensueller Kumpel. Der sonst immer so parfümiert-effeminierte Gamacho (Denis Savin) ein etwas schrulliger, degenerierter Adliger. Sensationell die beiden Freundinnen von Kitri (Anna Rebetskaya und Olga Stebletsova): so absolut unisono wie Synchron-Turmspringerinnen bei den Schwimmmeisterschaften. Und so fort mit dem elegant-machohaften Stierkämpfer (Andrej Merkuriev), der feurigen Straßentänzerin (Anastasia Yatsenko), der erotisch-funkensprühenden Mercedes (Irina Zibrova).

Und dann im klassischen Traum-Intermezzo die Meisterin der Dryaden (Maria Allash), der augenzwinkernd kokette Cupido (Nina Kaptsova) samt ihrem Dryaden-Gefolge, die alle tanzten, als hätten sie an einer St. Petersburger Sommerakademie teilgenommen. Und natürlich legten sie die Charaktertänze hin mit all dem Schmiss, dessen sie fähig sind. Das Corps de ballet so linienpräzise, dass man sagen würde: wie mit dem Lineal gezogen, wenn das nicht so steril-mechanisch klänge. Denn sie statteten ja auch als Corps ihre einzelnen Rollen so detailliert und individualisiert aus, gleich die Szene am Hafen von Barcelona, dass sie wie ein Gegenstück zu Bournonvilles „Napoli“ wirkte. Und das alles so leicht und luftig und so ganz unglaublich jung!

Erst hinterher habe ich erfahren, wie jung der Basilio wirklich ist: ganze neunzehn Jahre ist der aus Weißrussland stammende Ivan Vasiliev – und führt die tollsten Kapriolen bei seinen Sprüngen aus, wie der Starpilot einer Kunstflugstaffel. Und auch die Kitri, Natalia Osipova, ist erst dreiundzwanzig und legt ihre Pirouetten hin, dass es nur so flutscht und man mit dem Zählen überhaupt nicht mehr mitkommt, zumal da sie immer mal wieder doppelte und dreifache Rotationen einschiebt, und endet dann doch jedes Mal – wie auch ihre Kollegen – absolut punktgenau. Wie ich denn überhaupt nur staunen konnte, wie exakt sie alle ihre Schlusspointen setzen – was mir mächtig imponiert, weil es so absolut synchron mit der Musik geschieht. Und hier ist auch ein großes Kompliment für den Dirigenten Pavel Klinichev fällig, der so subtil auf die Beschleunigungen und Ritardandi der Choreografie eingeht, so dass Minkus viel weniger routiniert geschmettert klingt als wir das sonst gewohnt sind.

Aber ich muss natürlich gestehen, dass mich dieser Minkus unweigerlich „anmacht“ – bei all meiner Liebe zu Mozart und Verdi (und Dutzenden von anderen Komponisten zwischen Monteverdi und Händel auf der einen Seite und Strawinsky und Janácek auf der anderen). Die tollste Ballettvorstellung meines ja nun schon reichlich langen Lebens war ein Bolschoi-„Don Q“ mit Maximowa und Wassiljew bei einem Gastspiel in Köln – das muss wohl in den siebziger Jahren gewesen sein (ich weiß noch: mein Begleiter war damals Jens Wendland – auch einer der leider dem Ballett abhanden gekommenen Kritiker, wie so mancher andere). Doch der Münchner „Don Q“ vom 3. Mai 2007 kam dem ganz nahe!

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