Alles riskiert und alles gewonnen

„Don Quijote“-Wiederaufnahme mit illustren Gästen und zahlreichen Debuts

München, 28/06/2011

In der ersten Vorstellung überstrahlten die beiden Gäste vom Ballett des Moskauer Bolschoi alles. Denn was Ekaterina Krysanova und Andrei Merkuriev an wirbelnden Drehungen, spektakulären Hebungen, Fußschnelligkeit, extremer Exaktheit und feinsten Balancen boten, war eine auf der breiten Basis klassischer Technik souverän beherrschte Dynamik – blendend, wie selten zu sehen, und dadurch geadelt, dass dieses hellwache Paar sie mit humorvollem Zwinkern ganz in den Dienst der darzustellenden Handlung stellte. Unter den Solisten des Bayerischen Staatsballetts verbreitete Ekaterina Petina als Dulcinea, sich mit samtweichem Legato ganz der Einbildung ihres wahnsinnigen Ritters anschmiegend, am ehesten gleichwertigen Zauber. Die Don-Quijote-Verkörperung durch Cyril Pierre, von erzählerischer Kraft getragen, überzeugte dadurch, wie sich der Titelheld von seinen idealistischen Visionen einfangen ließ. Auch Sancho Pansa war dank Ilia Sarkisovs szenischer Fantasie und darstellerischer Raffinesse lebendig verkörpert.

Das zweite Paar, der Matador El Trianero und Mercedes, seine Geliebte, mit denen Marius Petipa wohl das Kolorit spanischen Temperaments verstärken wollte, verfehlte trotz sichtlicher Bemühung diesen Effekt, denn Marlon Dino traute sich an die exaltierte Übertriebenheit des stolzen Toreros noch nicht heran, und Roberta Fernandes versprühte bei guter Darstellung tänzerisch auch keine Brillanz. So blieb es den Szenen des guten Ensembles vorbehalten, für die richtige Atmosphäre zu sorgen. Von ihm umgeben überzeugten Gregor Mislin und Javier Amo Gonzales als Bedienstete von Kitris Vater, Maira Fontes und Ilana Werner als Kitris Freundinnen und insbesondere Matej Urban und Maxim Chashchegorov als Freunde Basilios. Auf Don Quijotes unbedingt glaubhaften Kampf mit den Windmühlen folgte das bezaubernd schöne weibliche Ensemble der Traumfiguren, in deren Mitte Ekaterina Petina als Dulcinea eine Zentrum bildende Präsenz ausstrahlte. In diesem Traum des Besiegten tanzte Daria Soukhorukova die Italienischen Fouettés ihrer schwierigen Adagio-Variation mit sicherer Balance, ehe Ilana Werner in der zweiten Variation leicht dahinflog. Mai Kono, die als Amor den halluzinierenden Helden dezent leitete und zugleich in seine Schranken wies, blieb etwas verhalten, ehe Ekaterina Petina alle vorigen überstrahlte und am Ende zeigte, dass sie auch wirbelnd schnell drehen und im Sprung so fliegen kann, dass sie kurz in der Luft zu stehen schien. So waren die Zuschauer am Ende, nach all den Toreros, Freundinnen und Najaden durch dieses groß dimensionierte, von Ray Barra schwungvoll inszenierte Handlungsballett euphorisiert. Denn wie Basilio und Kitri die Hochzeit des reichen Camacho, den Norbert Graf in einer detaillierten Studie amüsant darstellte, zu ihren eigenen Gunsten verhindern, gelang galant und mündete in ein höchst virtuos getanztes Finale, das eine neue Dulcinea-Vision Don Quijotes evoziert. Dieses letzte Mal sieht Sancho Pansa sie auch, und Cyril Pierre wie Ilia Sarkisov faszinierten mit ihrer gemeinsamen Hingabe an das Ideal von Schönheit und Liebe.

Für Ivy Amista und Karen Azatyan mag es belastend gewesen sein, direkt nach den russischen Weltstars zu debütieren. Desto überraschender, dass Ivy Amista ihre Aufgabe als Kitri mit Koketterie und hoher Ambition so selbstbewusst und charmant anging. Neben ihrem als Basilio elegant-lässigen armenischen Partner übernahm die Brasilianerin mit gutem Rollenspiel zunächst die Führung und verstand sogar klar sichtbar zu machen, wie ihr immer der richtige Einfall kommt, um bei Basilio oder ihrem Vater genau das zu erreichen, was sie jeweils will. An diesem zweiten Abend zeigte Norbert Graf einfühlsam, wie stark Don Quijote in seiner Welt der Ritterbücher lebt, in der Realität aber kaum zurechnungsfähig ist. Séverine Ferrolier tanzte ihr Dulcinea-Debut solide, konnte sie aber nicht als glänzendes Zauberwesen verkörpern. Der reiche Camacho gelang Vittorio Alberton als groteske Erscheinung, gewann aber kein schlüssiges Profil. Als Matador und Mercedes strukturierten Cyril Pierre und Ekaterina Petina mit ihrer Präsenz stimmig ihre Umgebung und bildeten von Anfang an ein flirrend aufeinander bezogenes Paar, für das die in ihrem Stolz zunehmend eleganten Toreros zur eindrucksvollen Kulisse wurden. Dabei traf Cyril Pierre sowohl das rechte Maß an männlicher Substanz als auch an Darstellung seiner selbst, während Ekaterina Petina, souverän über die dazu nötigen Mittel verfügend, die selbstbewusste Schönheit verkörperte, für die ein so veritabler Balztanz sich lohnt. Weitere Debuts: Magdalena Lonska in der ersten Traumvariation mit sauberen Linien und schöner Musikalität, Gözde Özgür als verschmitzt lächelnder Amor und Vincent Loermans als allmählich gelösterer Wirt und Vater Kitris.

Weitaus am erfreulichsten aber schlug sich bis zum Ende das neue Hauptpaar: Ivy Amista mit viel Temperament, blitzenden Jetés und hohen Beinen, tänzerisch die Bahnen für den Genuss der Ludwig-Minkus-Musik vorzeichnend, mit der schönen Attitüde weiblicher Siegesgewissheit. Karen Azatyan hat noch einige darstellerische Lücken im Text, verfügt aber über gute Technik und Sprungkraft und zeigte sich in der Präsentation seiner eleganten Bewegung als ein Meister, der sich für seine Partnerin immer mehr zum ruhenden Pol entwickelte. Ist es schon toll, wenn man in so schwierigen Partien beim ersten Mal ohne gravierende Fehler „durchkommt“, kämpften beide schon bei ihrem Debut um Brillanz in der Ausführung der technischen Ansprüche, riskierten noch in der Coda ihres finalen Pas de deux alles … und gewannen! Wenn nicht alles, dann doch zumindest, dass man ihnen gern die Chance gönnt, in ihren neuen Rollen weiter zu wachsen.

Die nächsten sechs Vorstellungen im Münchner Prinzregententheater zwischen dem 23. September und 3. Oktober 2011
www.bayerisches.staatsballett.de

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