Tanzen, schöner Götterfunken!

Das Bolschoi-Ballett mit „Don Quixote“

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Baden-Baden, 28/12/2006

Die Oper ist immerhin großzügig genug, neben sich die Opéra comique und die Operette zu dulden – wenn auch, leicht pikiert, als Dienstleister des zweiten und dritten Standes! Nicht so das Ballett! Das toleriert keine kleineren Götter neben sich, sondern beharrt auf seinem Eine-Klasse-Ausschließlichkeitsanspruch. Und so gehören „Schwanensee“ und „La fille mal gardée“ zur gleichen Gattung. Und wenn es hier auch eine Operettenvariante gäbe, wie sollte die wohl heißen? Ballettino? Ballettical? Für mich jedenfalls ist „Don Quixote“ die Ballettoperette schlechthin. Zu vergleichen allenfalls der „Fledermaus“. Ich muss zugeben, der Vergleich stimmt nicht vorn und nicht hinten. Denn was hätten auch Johann Strauß und Ludwig Minkus miteinander gemein? Und doch, und doch ...

Aus einer guten „Don Quixote“-Aufführung gehe ich heraus wie aus einer gelungenen „Fledermaus“ – in jener lebensoptimistischen Stimmung: Hier bin ich, was kostet die Welt! Und darum behaupte ich allen Ernstes: „Don Quixote“ ist für das Ballett das, was „Die Fledermaus“ für die Operette ist. Und was für die „Fledermaus“ die Wiener Staatsoper ist, das ist für „Don Quixote“ das Moskauer Bolschoi-Ballett! So jetzt wieder bestätigt beim Gastspiel der Moskowiter im Festspielhaus Baden-Baden. Angereist von der Moskwa mit riesigem Tross und Fundus, Ballerine und Ballerini, Corps de ballet und Orchester, um den Residenzlern von der Oos zu demonstrieren, was man im Schatten des Kreml unter Spanien versteht: das Leben als südliches Fest. Und so jubilieren sie mit allen Gliedern die internationale Hymne des Balletts: Tanzen, schöner Götterfunken! Und der Funke springt über aufs Publikum, das es kaum in den Sitzen hält.

Ein Schelm, wer dabei Cervantes nachtrauert! Don Q und Dulcinea: schön und gut, aber die Helden heißen hier Kitri und Basil, und während der Don und sein treuer Knappe Sancho Pansa in Gestalt von Alexei Loparevich und Roman Simachev durch die drei Akte staksen, zünden die Kollegen ein Feuerwerk der tänzerischen Pointen, dass es nur so kracht, jagt ein Solo das andere, ein Ensemble das nächste, folgt eine Frontalattacke auf ein Traumintermezzo – alles überkrönt von den Pas de deux der beiden Stars, Maria Alexandrova und Sergey Filin, mit ihren Fouettés wie Peitschenhiebe, seinen Turbomanegen und einarmigen Ausrufezeichen-Lifts.

Es ist reinstes 19. Jahrhundert – auch in den mit Nachdruck ausgespielten Pantomimen, eminent russisch und so global postkartenfolkloristisch, dass man sich beim Aufgehen des Vorhangs die Augen reibt und beim Volksfest auf der Plaza von Barcelona fragt, ob man sich nicht doch auf der Piazza von Napoli befindet, wo man jeden Augenblick Herrn Bournonville aus Kopenhagen begegnen könnte. Aber nein, dies sind keine Capri-Fischer, sondern Toreros und Senoritas von den Ramblas, und statt Blut fließt in ihren Adern ein unweigerlich zu Kopfe steigendes Gemisch aus Rioja und Wodka. Schon einmal probiert? Dann aber unbedingt in der originalen Moskauer Abfüllung, denn dieser „Don Q“ hat dieses einzigartige Bolschoi-Aroma wie der „Schwanensee“ seine unverkennbare St. Petersburger Mariinsky-Duftnote!

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