Beingetrippel und Rollenklischees

„Des gens qui dansent” von Jean-Claude Gallotta bei Tanz im August

Berlin, 26/08/2007

Jean-Claude Gallottas „Des gens qui dansent” beginnt mit zwei programmatischen Bildern. In einem leeren Bühnenraum, der hinten und an den Seiten von Ballettstangen begrenzt wird, formiert sich das Ensemble von zehn Tänzern unterschiedlichen Alters zu einer langen Reihe vorne an der Rampe. In knappen, schlaglichtartigen Sätzen formuliert jeder von ihnen, was Tanz für ihn persönlich bedeutet: „Ich tanze gegen das Elend dieser Welt”, sagt die junge hochaufgeschossene Blondine – „Ich tanze, um mit dem Trinken aufzuhören”, antwortet darauf der alternde Afroamerikaner mit dem scharf geschnittenen Gesicht. Nach einem kurzen Formationstanz verlassen alle die Bühne – und mit einem Mal fallen die Stangen krachend zu Boden. Die Botschaft scheint klar: In den folgenden 70 Minuten soll die perfekte Maschinerie eines Tanzabends zurücktreten, um Raum für das Menschliche, das Intime und Persönliche zu geben.

Leider löst „Des gens qui dansent” dieses Versprechen in keinem Moment ein. Stattdessen werden ausgiebig Tanztheaterklischees bemüht – ein Herr im Anzug verstrickt sich im tragi-komischen Liebeskonflikt mit drei Damen, stilisiertes Schluchzen und spitze Schreie inklusive -, italienische Lieder gesungen und jeder Moment der Stille mit einer schwerverdaulichen 80er-Jahre Rock-Kulisse zugedröhnt. Der einzige wirklich berührende Augenblick, wenn die über 60jährige Françoise Bal-Goetz bei einem Pas de Deux mit ihrer jungen agilen Kollegin Camille Cau darauf verzichtet, die akrobatischen Modern Dance-Kombinationen ihrer Partnerin nachzuahmen und sie nur lächelnd markiert, geht in einem zähen Soundbrei unter, über den der Choreograf selbst wie ein alternder Rapper kryptische Worte murmelt.

Zwar mag man Jean-Claude Gallotta dafür schätzen, dass er in seiner Arbeit keinen Trends hinterherhechelt, doch wirkt sein Stück so dröge und altbacken, dass man sich wünscht, er wäre wenigstens für ein paar Abende bei einem jüngeren Kollegen in die Schule gegangen. Mag das wenig einfallsreiche Bewegungsvokabular aus kranichartigen Armgesten, vom Flamenco abgeschauten Drehungen und stepptanzähnlich trippelnden Beinen noch auf eine Sehnsucht nach formaler Einfachheit zurückzuführen sein, fehlt für das angestaubte Frauenbild der Produktion jede Erklärung. Abgesehen von Françoise Bal-Goetz, die selbst beim Absprechen banaler Theatertexte über Liebe und Erinnerung noch eine gewisse Würde bewahrt, sind die Tänzerinnen bei Gallotta kaum mehr als langbeinige Projektionsflächen, die von den Männern halb offen begehrlich, halb unterwürfig bedrängt werden.

Jean-Claude Gallotta gehört zu der Generation von französischen Choreografen, die in den 80er-Jahren mit bunten aggressiven Stücken den Tanz revolutionierte und dafür vom Kultusministerium mit der Leitung finanziell gut ausgestatteter choreographischer Zentren in der Provinz belohnt wurde. Im Gegensatz zu Altersgenossen wie Régine Chopinot, die vor drei Jahren bei Tanz im August mit ihrem selbstzerstörerischen Punkrock-Stück „Warning Hazardous Area” eine eigensinnige Lebendigkeit bewies, scheint ihn der langjährige Posten an der Spitze einer Institution keineswegs zu beflügeln.

So wirkt es fast ironisch, wenn in der Mitte von „Des gens qui dansent” eine Videoleinwand heruntergefahren wird, auf der der sterbende Erotomane Henry Miller betont, er sei „lebendig bis zum Schluss”. Denn von dessen anarchischem Furor sind Gallottas kleinbürgerliche Tanztheaterszenen meilenweit entfernt.

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