Das Erbe und die Erben der Konstanze Vernon

Zur Halbzeit des Petipa-Marathons: „La Bayadère“

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München, 14/03/2007

Die 61. Vorstellung seit der Premiere vor knapp zehn Jahren: eine Investition, die sich gelohnt hat! So sah es auch das Publikum, und so klang auch sein Beifall. Der ästhetische Gesamteindruck ist überwältigend – zu verdanken nicht zuletzt dem magischen Japan-Touch der Ausstattung von Tomio Mohri – bis auf den misslungenen Schlussakt. Der ist in München so wenig überzeugend wie in Hamburg – da sind Wien und Berlin mit ihrer schlüssigeren Dramaturgie eindeutig überlegen. Dies ist indessen sicher die substantiellste Hinterlassenschaft der Ära von Konstanze Vernon, die Ivan Liška und sein Team sorgsamst bewahrt und gepflegt haben. Auch das Orchester, diesmal unter der Leitung von Dieter Rossberg, das dem so viel malträtierten Ludwig Minkus alle staatsopernhafte Ehre zuteilwerden lässt – einschließlich des melodischen Honigsaums, den uns die Solisten von Violine, Flöte und Harfe ins Ohr träufeln.

Was für eine Kompanie! Großen Respekt den Trainings- und Probenleitern all dieser großen Corps-, kleineren Ensembles und solistischen Leistungen. Ich habe jetzt Berlin länger nicht gesehen, aber in puncto stilistischer Homogenität stehlen die Münchner den Stuttgartern und Hamburgern eindeutig die Show (die verfügen dafür über andere Tugenden). Das große Divertissement im Garten des Palastes (immer diese Gärten bei Petipa!) tanzen die Münchner mit einem eskalierenden Drive, wie ihn die großen Zeffirelli-Produktionen von „Aida“ an der Mailänder Scala, an der Met oder in Verona bieten (und ganz sicher nicht Neuenfels in Frankfurt und Konwitschny in Graz). Ja, ich bekenne mich als Fan dieser eskalierenden Massenspektakel (obgleich ich für die Nürnberger Parteitage ganz und gar nichts übrighabe). Großes Kompliment für Ivan Lis Liška, sein Team und das Bayerische Staatsballett!

Eindeutig hat die traditionalistische Produktion von Patrice Bart, die nicht zuletzt durch ihre handwerkliche Solidität überzeugt, an stilistischem Feinschliff gewonnen. Siehe den so wunderbar in einen einzigen großen Fluss gebetteten Schattenakt – hier wie ein Glaubensbekenntnis getanzt: Ich glaube an die Schönheit als die wahre Tugend des klassischen Balletts! Siehe die Feinstarbeit der juwelierhaft ziselierten Miniaturen der diversen Pas de soundsoviel. Siehe auch das enorme Aufgebot der Solisten. Natürlich habe ich in fünfzig Jahren größere Stars in den einzelnen Rollen gesehen als sie diese Münchner Vorstellung zu bieten hat. Aber dies sind alle hausgemachte Ballerine und Ballerini. Und sie bieten eine Qualität und einen technischen Standard, wie man ihn noch vor fünfzehn Jahren in einer deutschen (after all!) Kompanie kaum für möglich gehalten hätte: die Nikija der Lisa-Maree Cullum mit ihren souverän zelebrierten Balancen, Natalia Kalinitchenko als ihre Rivalin Gamzatti mit ihren bravourösen, auch doppelten Fouettés, Alen Bottaini als Solor, mit seinen West Point gestylten, eleganten Sprüngen und Manegen und Tigran Mikayelyan weniger als Goldenes Idol (die Dramaturgie und Regie vermasseln ihm leider seinen Auftritt), sondern vielmehr als quasi gedopter Tiger von Eschnapur.

Wenn ich mich auch für die Pantomimen nach wie vor nicht sonderlich begeistern kann (pace Richard Merz!), so hat mich diese Münchner „Bayadère“ wieder total angemacht – obgleich Indien ganz und gar nicht das Land meiner phantastischen Träume ist (zu viel Curry in der Luft!). Ist schon ein unverwüstlicher Ballettmagier, dieser Marius Petipa, der Einzige!

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