Aus der Stuttgarter Choreografenschmiede

Hommage à Cranko mit Forsythe, Goecke, Kylián, Lee, Neumeier, Scholz und Spuck

oe
Stuttgart, 26/10/2007

Wieder einmal die mir ab und zu notwendig erscheinende Erinnerung daran, dass dies keine Kritik im übliche Sinn der Beschreibung und Bewertung ist, sondern die höchst persönliche Einschätzung eines künstlerischen Ereignisses, ohne jegliche Objektivitätsbehauptung (sowieso ein sehr suspektes Unterfangen) – und schon gar nicht mit dem monopolistischen Anspruch der Deutungshoheit. Am zweiten Abend der John-Cranko-Ballettwoche (diesmal im Schauspielhaus) eine Hommage an den Meister von sieben Choreografen, die alle in Stuttgart debütiert haben und inzwischen mehr oder weniger international berühmt und gefragt sind: schon das ein Phänomen, dessen sich auf dieser Qualitätsebene keine einzige andere Kompanie in Europa oder Amerika rühmen kann – nicht einmal das Nederlands Dans Theater.

Elf Arbeiten insgesamt, von denen sieben für das Stuttgarter Ballett beziehungsweise die Noverre-Gesellschaft entstanden sind: Jiři Kyliáns „Rückkehr ins fremde Land“ – ein Meisterwerk, wie sich jetzt bei der Wiederbegegnung herausstellte –, als er achtundzwanzig, William Forsythes „Urlicht“, als er gerade mal siebenundzwanzig war. Und was für Stücke darunter! Uwe Scholzens „Notations I-IV“ (Jahrgang 1996) mit dem sensationellen Alexander Zaitsev – aber war William Moore in Marco Goeckes „Äffi“ (2005) etwa weniger sensationell – oder haben wir Alicia Amatriain je rasanter gesehen (an der Seite von Roberto Bolle als Gast von der Mailänder Scala) als in Forsythes „In the Middle Somewhat Elevated“ (1987 für die Pariser Opéra kreiert, und dort immerhin mit Sylvie Guillem uraufgeführt)?

Und alle drei ja ständige Mitglieder des Stuttgarter Balletts – wie auch in anderen Stücken ihre Stuttgarter Kollegen Sue Jin Kang, Jiří Jelinek, Nikolay Godunov, der sich in letzter Zeit so fantastisch entwickelnde Marijn Rademaker und Jason Reilly, nicht zu reden von den dann in Christian Spucks „Das siebte Blau“ bescheiden unter die sieben plus sieben zurücktretenden Katja Wünsche und Oihane Herrero, Reilly, Rademaker und Moore. Welch eine Solisten-Equipe! Dazu die Gäste Beatrice Knop aus Berlin, Maja Velkovic und Jean-Sébastien Colau aus Leipzig (war es die Bühne des Schauspielhauses, die angesichts von Scholzens Duo „Dans la Marche“ die Erinnerung an die Projektwochen „Endstation Stammheim“ wachriefen?), Aurélie Cayla und Bastien Zorzetto aus Den Haag sowie die drei Top-Solisten Joëlle Boulogne, Carsten Jung und Otto Bubeníček vom Hamburger Ballett in „Nacht“, dem Cranko-Memorial John Neumeiers von 1974, kreiert von Marcia Haydée, Richard Cragun und Egon Madsen (das damals ruiniert wurde durch eine verhängnisvolle Pannenpause): sie machten einem bewusst – wenn das denn noch nötig war – welche Impulse von Crankos Stuttgart in die Welt ausgestrahlt haben. Ein drittel Jahrhundert nach Crankos Tod erweist sich Stuttgart noch immer als eine Kapitale – und mit drei Juniorenchoreografen vom Rang eines Goecke, Spuck und Lee eine nach wie vor eine äußerst vitale kreative Kapitale – des Weltballetts!

 

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