In Radebeul ergründen Reiner Feistels „Zwischenspiele“ die Geschlechter

Männer zwischen Sehnsucht und Solidarität

Radebeul, 21/12/2006

Nein, sagt Reiner Feistel, die Nähe zu Dresden schade seinem Radebeuler Ensemble nicht. Eher kommen dadurch zusätzlich Besucher in die Landesbühnen Sachsen, außer einstigen Kollegen auch „normale“ Zuschauer, die als Ergänzung zur Großkunst des SemperOper Balletts die intimere Spielstätte des Vororts und ihr flexibles Repertoire zwischen adaptierter Klassik und moderner Uraufführung zu schätzen wissen. Im zehnten Jahr ist der Ex-Solist der damaligen Staatsoper Dresden schon Ballettchef an einem Theater, das mit seinem gläsernen Vorbau des Abends wie eine illuminierte Fata Morgana an der Ausfahrtsstraße von Dresden aufsteigt. Pro Saison entwirft er eine Produktion für die große Bühne und eine Kammertanzkreation fürs Studio, insgesamt seit Amtsantritt an die zwei Dutzend. „Das Gespenst von Canterville“ und, im April dieses Jahres, „Die Bartholomäusnacht“ sind Erstaufführungen; „Die Erschaffung der Welt“, „Coppelia“, „Romeo und Julia“, „Ein Sommernachtstraum“ bedienten die Erwartungen nach verkaufsträchtigen Stücken.

Als freistaatlich finanziertes Haus bespielen die Landesbühnen auch andere sächsische Orte. Darüber hinaus stemmt die rührige Ballettkompanie mit ihren sechs Frauen und sieben Männern seit geraumer Zeit, was früher Domäne der Staatsoper war: die „Tänzerischen Serenaden“ im Dresdner Zwinger von Ende Mai bis Anfang September. Und als sei das nicht genug, sind Radebeuls Tänzer mit der Reihe „Ballett und Orgel“ in Kirchen zugange, etwa dem Meißner Dom. So kommen für die vielseitigen Tänzer mühelos 120 Vorstellungen pro Saison zusammen, im Schnitt zehn für jede Produktion. Die doppelte Aufführungszahl erreichte „Gestrandet“ mit Songs von Herbert Grönemeyer. Das bewog Reiner Feistel nun, zwei Spielzeiten später, zu einem ähnlich gelagerten Abend für die Studiobühne. „Zwischenspiele“ leiht nicht nur den Titel von einer CD Xavier Naidoos, sondern verfugt im ersten Teil ein halbes Dutzend seiner Lieder zu einer kleinen Geschichte.

Weiße, dezent besprayte Mauern mit Eingangsspalt in der Mitte, seitliche Stelen mit Strahlern, eine Bank und das Schild „Ausgang“ markieren die anonyme Atmosphäre eines Bahnhofs. Fünf Männer treffen sich dort zufällig zu kurzer Gemeinsamkeit. „Wir haben alles Gute vor uns“, muntert der Gesangstext auf. Vorerst haben die Fremden offenbar etwas hinter sich. „Alle Männer müssen kämpfen“ erinnert mit Faustposen Krieg und Tod, in einem Stützduett aber auch mannmännliche Solidarität. „Dich zu kennen ist das Beste, was ich hab“ stellt in zwei separaten Duos die Sehnsucht nach Zweisamkeit aus, die der fünfte Mann zerstört. Ihm erscheint die Angebetete, doch „sie sieht mich nicht“. Kurzer Liebe folgt der Abschied und das Gefühl, zu „sterben ohne sie“. Die anderen Männer sind da lebende Mauer zwischen dem Paar. In ihren besten Momenten schwingt sich die Choreografie ebenbürtig auf Naidoos Emotionen ein – und bricht sie ironisch, wenn der Trennungsschmerz überzuborden droht. „Schau mir noch mal in die Augen, bevor du gehst“ nehmen zwei Männer wörtlich, der eine heitert den Trauernden fast clownesk auf. Zur Reprise vom Guten, das noch vor uns liegt, vereint sich geballte Männerpower, ehe die Bahn geräuschvoll abfährt, ohne dass das Glück ausgestiegen wäre. Debattierend bleibt das Quintett um die Bank herum zurück.

So wie der Choreograf sein Männerensemble in ein ausgesprochen maskulines Miteinander verstrickt und dennoch Sensibilität aufscheinen lässt, sucht er im zweiten Teil mit fünf Tänzerinnen nach weiblicher Individualität. Barocke Klavierminiaturen Domenico Scarlattis grundieren die Selbstporträts von fröhlich bis versonnen. Im Umgang mit einem zunächst willenlosen, dann entflammbaren Mann entäußern sich auch Verhaltensweisen. Ertastet er den Körper der einen, will ihn ein keckes Weibchen an sich binden. Zwei umkreisen ihn abstandsvoll wie Planeten, doch er spielt auf Zeit, die ihm wie Sand durch die Finger rinnt. Muskel spielend versichert sich der Verlassene seines Apolltums, sieht sich schon genüsslich umdrängt. Da richten sich aller Frauen Blicke in dieselbe Richtung, vielleicht auf einen anderen Begehrten. Wieder webt Feistel einen dichten, angenehm ornamentierten Bewegungsteppich aus zeitgenössischen Techniken, wieder stockt bisweilen der tänzerische Fluss zugunsten gehaltener Posen. Besonders in Maria Eckert hat er eine souveräne Sprachmittlerin.

 

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