Arbeiten mit alten und neuen Legenden

Vor einer Premiere „Wiedergeburt und Auferstehung“ laden Ballettchef Aaron Watkin und Rektor Jason Beechey zur öffentlichen Probe in die Palucca Schule Dresden ein

Dresden, 08/11/2006

Neue Zeiten müssen nicht zwangsläufig bessere Zeiten sein, aber Veränderungen bringen sie garantiert. Wer hätte sich bei Ballettchef Vladimir Derevianko vorstellen können, dass dieser unmittelbar vor einer Premiere seine Company mit drei Stücken, darunter eine Uraufführung, zur öffentlichen Probe in die Palucca Schule Dresden – Hochschule für Tanz bemühen würde. Ballettchef Aaron Watkin und Rektor Jason Beechey sorgten jetzt gemeinsam für solch eine Begegnung im Hochschulneubau am Basteiplatz, und Studenten wie Pädagogen hatten die Möglichkeit, Mitglieder der Company mit neu einstudierten Arbeiten nicht erst auf der Bühne, sondern schon im Ballettsaal kennen zu lernen. Solche Formen gegenseitiger Aufmerksamkeit, frei von Allüren und Ausgrenzungen, soll es künftig in vielen Variationen geben.

Die erste Choreografie des dreiteiligen Abends – die Premiere ist am 12. November in der Semperoper – wird von der ehemaligen Balanchine-Primaballerina Patricia Neary übertragen, einer markanten Tänzerin aus dem erwählten Kreis jener, die mit dem verehrten Meister zusammengearbeitet haben und – vereint mit dem „Balanchine Trust“ – weltweit sein Erbe hochhalten. Patricia Neary überträgt in Dresden die Choreografie „Thema und Variationen“ zum letzten Satz der Tschaikowsky-Suite Nr. 3 in G-Dur. Und sie selbst ist schon eine Inszenierung; ihre Zwischenrufe während der Probe lassen erkennen, dass sie legeres Arbeiten keinesfalls akzeptiert – alte Schule eben, doch humorlos ist sie nicht. Und man begreift auch ziemlich schnell, dass diese Balanchine-Choreografie von 1947 den Tänzern reichlich Kondition abverlangt. Weniger, weil sie so unglaublich schwierig in der Körpersprache ist, sondern, weil jeder Schritt, jede Drehung, jede Hebung absolut auf den Punkt gebracht werden muss, damit der Tanz schließlich zum Atmen kommt.

Für Erheiterung bei den Zuschauenden sorgte die Bemerkung von Patricia, die eingespielte Musik sei viel zu schnell aufgenommen – ihre Schwester Colleen habe damit in Wien gearbeitet. Es ist bekannt, dass der hochmusikalische Balanchine Musik quasi „in ihre Bestandteile zerlegt“ und den Tänzern zuweilen ein halsbrecherisches Tempo abverlangt hat. Zur Aufführung in der Semperoper gibt es natürlich keine Tonkonserve – die Sächsische Staatskapelle spielt unter Leitung von David Coleman.

Als Überraschung zur Premiere – diese Arbeit gehört ab April 2007 zum Ballettabend „Freudentänze“ – offeriert das Semper Oper Ballett „Grand Pas Classique“ zu Musik von Auber in der Choreografie von Aaron Watkin nach Victor Gsovsky. Eine Art Zugabe für alle Ballettfans, und es ist zu spüren, dass Aaron Watkin in der ersten Premiere unter seiner Verantwortung alle Trümpfe ausspielen will, die er in der neu formierten Company vereint hat.

Der Schritt von George Balanchine zu William Forsythe und seiner Choreografie „Enemy in the Figure“ ist übrigens weniger groß, als man vielleicht annehmen würde. Zum unerbittlichen Rhythmus der Musik von Thom Willems sind die Tänzer in schönster Individualität zu erleben, und es ist auch kein Geheimnis, dass sich Forsythe gern auf Balanchine beruft: „I love Balanchine. He was my inspiration.“ Dass mit dem dreiteiligen Abend erneut eine der frühen Forsythe-Arbeiten ins Dresdner Repertoire kommt, ist gewiss kein Verhängnis, sondern die Chance, neben neu entstandenen Werken des Choreografen auch jene kennen zu lernen, mit denen sein internationales Ansehen gewachsen ist, die den Boden bereitet haben für das Verständnis seines Schaffens überhaupt. Eine Möglichkeit, wie es sie in dieser Konstellation sonst nirgendwo auf der Welt gibt, und daran müssen wir auch denken, wenn wir von Dresden aus Forsythe ernsthaft Vorwürfe einer mangelnden Präsenz machen, ohne die dafür zugesicherten Voraussetzungen geschaffen zu haben. Übrigens ist er bei den Endproben in Dresden dabei. „Enemy“ belegt deutlich seine Philosophie, ganz ohne Hierarchien auf der Bühne auszukommen; hier zeigt jeder Präsenz, wird keiner zur Hintergrundfigur degradiert. Und schon bei der Probe ist zu sehen, welche künstlerischen Potenzen uns da überraschen werden.

Es schwingt ein wenig Pathos mit im Titel des Abends: „Wiedergeburt und Auferstehung“. Doch ein Stück Wahrheit steht auch dahinter mit dem programmatischen Bekenntnis zur Auffrischung des zeitgenössischen Repertoires. Und das speziell mit der Uraufführung von David Dawson, dem neuen Hauschoreografen mit unverkennbar klassischen Wurzeln, der sich mit der Choreografie „Das Verschwundene“ zu Musik von Arvo Pärt erstmals in Dresden vorstellen wird. In diesem Stück erleben wir nun auch endlich Bridget Breiner, der aus Stuttgart enorme Sympathien voraus- oder nachgeeilt sind, und wir können gespannt sein auf diesen Abend, welcher zunächst mit sechs weiteren Aufführungen angekündigt ist. Übrigens arbeitet derzeit mit David Howard als Trainingsmeister eine weitere Ballettlegende in Dresden. Der gebürtige Brite leitet das tägliche Training der Tänzerinnen und Tänzer, und hat davon auch eine Kostprobe in der Palucca Schule gegeben. Er ist berühmt ob seiner Fähigkeit, individuelle Stärken zu erkennen und daraus neue Qualitäten entwickeln zu können.
 

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