Abschied von Heidrun Schwaarz

Eine Hommage an Alma Mahler-Werfel, die Muse des Wiener Fin de siècle

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Krefeld/Mönchengladbach, 13/10/2006

Im März dieses Jahres in Mönchengladbach zur Uraufführung gelangt, wurde die Krefelder Übernahme ihrer „Windsbraut“ nun zur Abschiedspremiere der verdienten, vom Generalintendanten, dem Bürgermeister und dem Ensemble gebührend gewürdigten Mönchengladbach/Krefelder Ballettchefin. Es war ein würdevoller Abschied in Gegenwart zahlreicher Kollegen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mit diesem abendfüllenden Zweiteiler über Alma Mahler-Werfel wie in einer Vorahnung die Bilanz ihres reichen Lebens gezogen hat.

Solche Doku-Ballette sind bei aller poetischen Lizenz meist problematisch – man denke an MacMillan über Isadora Duncan, an Neumeier über Thomas Mann, an Béjarts Greta Garbo – ganz zu schweigen von all den Bach-, Mozart- und Tschaikowsky-Balletten der jüngeren Vergangenheit. Und auch Schwaarzens „Windsbraut“, anknüpfend an ihre Amour fou mit dem Maler Oskar Kokoschka, mit den Zwischenstationen ihrer erotischen Liaisons mit dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter Gropius und dem Schriftsteller Franz Werfel bildet da keine Ausnahme.

Gleichwohl: man wundert sich eigentlich, warum noch niemand vorher auf die Idee gekommen ist, sich von ihr zu einem Ballett inspirieren zu lassen. Denn dies ist doch ein Lebensstoff, der nach seiner dramatischen Transformation geradezu schreit. Jedenfalls scheint Heidrun Schwaarz die erste gewesen zu sein, die dies erkannt und künstlerisch realisiert hat. Und wenn man sich auch vorstellen kann, welch ein ganz anderes künstlerisches (und gerade auch choreografisches) Format ein Roland Petit (mit Zizi Jeanmaire als Protagonistin) diesem Stoff abgewonnen hätte, so ist Heidrun Schwaarz doch ein alles in allem spannender Theaterabend gelungen, mit einer tollen Musik von überwiegend Mahler, aber auch anderen Komponisten wie Wagner, Grieg, Sibelius, dem amerikanischen Jazzer Uri Craine und – wenig passend, Khatschaturian.

Vor allem aber eins ist ihr gelungen: Alma Mahler-Werfel theatralisch dingfest zu machen als reale Gegenfigur zur literarischen Kreation der Lulu von Frank Wedekind und Alban Berg. Nie zuvor ist mir die Parallelität dieser beiden Schlüsselfiguren als Musen des Wiener Fin de siècle so bewusst geworden wie in dieser „Windsbraut“ von Heidrun Schwaarz. Und wenn diese „Windsbraut“ nicht auf der Exzellenzen-Ebene von Neumeiers „Nijinsky“ und Peter Breuers „Tschaikowsky“ rangiert, so doch auf einem tänzerischen Niveau, das in seiner Professionalität den außerordentlichen Qualitätsmaßstab repräsentiert, den sich das deutsche Provinzballett inzwischen erarbeitet hat – und was heißt hier Provinz, wenn uns München „In the Country of Last Things“ von Michael Simon und Berlin „It‘s not funny“ vom Meg Stuart zumuten?

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