Die Ballerina mit dem doppelten a

Zum Tod von Heidrun Schwaarz

oe
Stuttgart, 28/08/2006

Eigentlich hatte ich wenigstens eine kurze Pause zwischen der Bilanz der letzten Spielzeit und der ersten Ballettpremiere der neuen Saison einlegen wollen. Aber dann kam zum Wochenende die überraschende Meldung über den Tod von Heidrun Schwaarz im fernen rumänischen Costanza, wo sie mit ihrem Mann, Igor Kosak, ihr Erfolgsballett „Max und Moritz“ einstudierte. Und die bedarf denn doch eines Memorials für eine Ausnahmepersönlichkeit der deutschen Ballettszene. Also griff ich zu „Reclams Ballettlexikon“, um mich der Daten ihrer Karriere zu vergewissern. Großer Schreck: da fand ich wohl Sheldon Schwartz, langjähriger Solist bei Heinz Spoerli in Basel und später dann am Washingtoner Kennedy Center für das Ballettprogramm zuständig. Und Heidrun? Fehlanzeige? Das konnte, das durfte doch nicht wahr sein! War es auch nicht. Ich hatte nur das zweite a übersehen, denn als Heidrun Schwaarz fungiert sie dort noch vor dem „Schwan von Tuonela“ und dem spaltenlangen „Schwanensee“. Sie war eben immer etwas Besonderes – auch in ihrer Namensschreibweise, und die bedeutete eben in ihrem Fall ihre Sonderklasse – wie das bekannte XX für Sondergrößen steht.

Eine Primaballerina war sie nicht, als sie nach ihren Münchner Lehrjahren (nicht beim Bayerischen Staatsballett, denn das gab es damals noch nicht) und den ersten Stationen ihrer Karriere in Straßburg und Frankfurt Anfang der siebziger Jahre an die Deutsche Oper Berlin engagiert wurde, der sie ein Dezennium lang die Treue hielt. Unangefochtene Primaballerina war damals Eva Evdokimova. Neben der sie sich indessen als ganz anderer Typ durchaus zu behaupten wusste: als eine Ballerina, die sich durch ihr rassiges Temperament und ihre darstellerische Vielseitigkeit auszeichnete. Das hatte man ihr nach ihren ersten Berliner Premieren nicht so ohne weiteres zugetraut. Dies war die Zeit der Doppeldirektion von Gert Reinholm und John Taras – und Taras besetzte sie gleich mit drei Balanchine-Partien in „Serenade“, „Die vier Temperamente“ und „Ivesiana“ – immerhin: Taras, der Balanchine-Mann, schien in ihr die Balanchine-Ballerina zu sehen.

Damals kamen unentwegt neue Choreografen ans Haus, und die stürzten sich allesamt auf die Ballerina mit den zwei a: John Clifford, Moshe Efrati, Alexander Schneider, Norbert Vesak, Germinal Casado, Conrad Drzwecki, Rudi van Dantzig ... Doch ihr entscheidender Choreograf wurde Hans van Manen, der sie gleich in seiner ersten Berliner Premiere, „Metaforen“ (1976), einsetzte und dann in Berlin keine Einstudierung mehr ohne sie herausbrachte – und besonders glanzvoll in „Twilight“, in der sie berühmte Rollenvorgängerinnen hatte. Aber auch Maurice Béjart ließ sie die Berliner Premiere seines „Bolero“ tanzen. Als ich das jetzt nachschlug, wurde mir wieder bewusst, wie fabelhaft informativ die von Hartmut Regitz betreute Dokumentation der Spielzeit in den jeweiligen Ballett-Jahrbüchern des Friedrich Verlags ist – umso bedauerlicher, dass sie im neuen Jahrbuch für 2006 erstmalig fehlt!

Sie ging dann als Ballettchefin mit ihrem Mann, Igor Kosak, nach Essen – als Nachfolgerin von Boris Pilato – und möbelte die dortige Kompanie ganz schön auf, zumal da es ihr gelang, Hans van Manen mehrfach als Gast zu verpflichten (wie dann auch in ihrem nächsten Engagement in Krefeld/Mönchengladbach). Dabei bewährte sie sich auch als eigen- und bodenständige Choreografin. So erfolgreich, dass der Intendant Angst bekam und ihr aus Furcht, sie nach fünfzehnjähriger Tätigkeit nicht mehr kündigen zum können, den Laufpass gab (ähnlich wie es derzeit Ben van Cauwenbergh in Wiesbaden erlebt). Sie hatte Glück und begann 1981 erneut in Krefeld/Mönchengladbach, wo sie Christopher Bruce als Gastchoreografen holte und mit ihren Eigeneinstudierungen eine weite Skala von sehr unterschiedlichen Themen abdeckte – furchtlos auch John Cranko gegenüber, als sie sich an „Der Widerspenstigen Zähmung“ (Musik: Franz von Suppé) wagte.

Ich bin ihr oft bei Premieren an den verschiedensten Orten begegnet, denn sie war neugierig auf die Arbeit ihrer Kollegen und der anderen Kompanien. Immer war sie in Begleitung von Igor Kosak (und wenn es nicht im Theater war, hatten sie immer ihre Hunde bei sich). Immer strahlte sie einen geradezu ansteckenden Optimismus aus. Sie gehörte einem Frauentyp an, der früher die Ballettarbeit an den deutschen Stadttheatern dominierte – ich denke an Elisabeth Elster in Kiel, an Ilselore Wöbke in Heidelberg, an Lisa Kretschmar in Mannheim (wo sie 1954 die erste deutsche Nachkriegsproduktion des kompletten „Schwanensee“ herausbrachte) und an Alice Zickler, die Chefin in Kassel, die dort lange Jahre tätig war, an Ruth Wolf in Görlitz, auch an Irene Schneider, die sich jetzt von Magdeburg verabschiedet hat. Frauen sie alle (und viele andere mehr), die nicht unbedingt Ballettgeschichte gemacht haben, aber doch ihrem Publikum viele beglückte Stunden bereitet haben. Vielleicht nimmt sich ja doch eines Tages mal ein Bachelor, Master oder Doktorand ihrer an und schreibt eine Geschichte des deutschen Stadttheaterballetts. Heidrun Schwaarz wird darin sicher einen bevorzugten Platz einnehmen – und das nicht nur wegen ihres doppelten a!

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