„selbstinschuld“ mit Antje Pfundtner auf Kampnagel

Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte

Hamburg, 13/05/2005

Aus sich selbst heraustreten, anderen ihre Bewegungen, Regungen, Ideen vermitteln: Mit „selbstinschuld“ präsentiert Antje Pfundtner, die bisher Soli wie „eigenSinn“ schuf, auf Kampnagel ihre erste Gruppenchoreographie mit zwei Männern und drei Frauen - sie selbst tanzt mit. „Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte und ist für diese selbst verantwortlich,“ murmelt der Programmzetteltext dazu. Aha! Kein Gedanke daran beim Beginn: Zu tief pulsierendem Brummton erscheinen in Zeitlupe zehn Füße am unteren Rand einer hinten aufgehängten weißen Folie, senken sich ab, Unter-, Oberschenkel, schließlich der Unterkörper. Gebückt taucht das Quintett unter der Folie hervor, die schwarz behosten Hinterteile zum Publikum, bewegt sich im wechselnden Vor und Zurück bis zum Rand der Bühnenfläche. Dort stehen sie, gebeugt und barbusig, wie zerknirschte Sünder/innen, drehen sich um und ziehen sich Shirts an.

Nach dieser Vorstellungssequenz verteilt sich die Gruppe im Raum. Jede(r) entwickelt eigene Bewegungen: Einer „fliegt“ mit abgewinkelten Armen, Hände auf den Schultern, eine kniet, fällt um, verknotet ihre Arme artistisch vor der Brust, eine andere (Trinidad Martínez) schiebt sich quer über die Bühne, röchelt guttural, Pfundtner selbst agiert anfangs wie ein Roboter. Die Musik produziert Dayton Allemann, auch tanzend dabei, zum Teil am E-Piano: von der lisztartigen Paraphrase über den Vaudeville-Sound bis zum Maschinenrattern, das die Zuschauerreihen erzittern lässt, und einem in schneidende Dissonanzen aufgelösten Walzer.

Pfundtner und Volkhard Samuel Guist vollführen ein Duo, das sich mal in Drehungen, ineinander, auseinander verhakt, mal ein Würgeintermezzo einbaut, dann sich auflöst, wieder zusammenfindet: einer der stärksten Momente. Wie das Robben von Silke Hundertmark, fast komplett bedeckt von einem Mantel, so dass sie wie eine wandernde Flunder wirkt. Was sein könnte, wenn Pfundtner ihre choreographische Fantasie zielbewusst im größeren Zusammenhang auf mehrere umzusetzen verstände, zeigen die Augenblicke, in denen Bewegungen von einem zum anderen weitergereicht werden oder eine Vierergruppe synchron wie eine kleine Herde tierisch agiert. Der Tanz bleibt, sicherlich gewollt, erdenverhaftet, Sprünge, hohe Hebungen, Drehungen sind ausgespart.

Bis zum Ende mit dem lang ausgehaltenen Zittern der auf dem Bauch ausgestreckten Fünf und deren Zusammenrollen in die Embryohaltung hat sich mir nicht offenbart, wo sich das „selbstinschuld“ manifestiert. Bis dahin ist das Geschehen allerdings längst auseinander gebrochen, scheint keinem durchgehenden Konzept mehr zu gehorchen. Die Begabung von Antje Pfundtner steht außer Zweifel, aber ihre Fähigkeit zur übergreifenden Strukturierung und Verdichtung ist sehr entwicklungsfähig. Weitergehen sollte sie auf jeden Fall, vielleicht einmal, ohne selbst mitzumachen, um den kontrollierenden Blick von außen zu nutzen.

Auf wie vielen Quellen sich eine solche Produktion der freien Szene speist, zeigt die Liste der Unterstützer: „selbstinschuld“ wurde in Koproduktion mit Kampnagel und dem Forum Freies Theater Düsseldorf erstellt, gefördert durch die Kulturbehörde Hamburgs, den Fonds Darstellende Künste e.V. und die Kulturstiftung NRW.


Gesehen: Uraufführung am 11.5.

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