„Artischocke im Silbersee“

Folkwang Tanzstudio gastiert im neu eröffneten B 12

Hamburg, 13/10/2005

Tatort Feldstraße 66 nahe dem Heiligengeistfeld in Hamburg: Ein Flakbunker mit meterdicken Mauern, innen steigt man in einem riesigen Turm über eine ellenlange Treppe zum 1.Stock, dort residiert B 12, Bühne für Tanz und Tanztheater, umgeben von nackten, geweißten Betonwänden. Vom Eingangsraum her quetscht man sich durch einen engen Gang neben der Bühne, abgetrennt durch einen schwarzen Hänger, zum Mittelraum, dann weiter zum Aufenthaltsraum. Nebenan ist der Theatersaal mit Zuschauertribüne (99 Plätze) unter niedriger Decke und großer Bühnenfläche mit angenehmer Höhe. Man schaut von oben auf die Protagonisten.

Nach dem Umzug vom Bullerdeich eröffnete B 12, privat finanziert, jetzt ihre neue, in Eigeninitiative ausgebaute Spielstätte mit einer Produktion des Folkwang Tanzstudios, das schon öfter in der alten Adresse gastierte. Trotz des hochkarätigen Ensembles war der Abend nicht ausverkauft: ein Armutszeugnis für die Millionenstadt Hamburg. Man sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, anderen Tanz zu sehen als an der Staatsoper oder auf Kampnagel. Besonders, weil es sich bei „Artischocke im Silbersee“ von Henrietta Horn (unter Mitwirkung der Tänzer/innen) um ein außergewöhnlich amüsantes, komisches, kurzweiliges Stück handelt, dass ein Jahr nach der Uraufführung taufrisch wie zur Premiere wirkt. Tanztheater mit Humor!! Scheinbar ohne intellektuellen Tiefgang unterhält es hinter und vor immer wieder zu neuen Formen gebundenen Perlenvorhängen, nutzt Bewegungskomik als treibenden Faktor. Manches Mal brodelt etwas unter der Oberfläche wie Sehnsucht, Einsamkeit, Bedrohung oder Aggression, die sich in einem Gag auflöst: Ein Mann wird bedrängt von einer Gruppe, bis plötzlich einer dem Verschwitzten ein Tuch reicht.

Als Erste tritt Choreographin Henrietta Horn selbst auf: Kleidchen, auf dem Kopf eine Badehaube, trendy Sonnenbrille, Pumps. Sie kreist mit dem Becken, vollführt Gänge wie auf wie einem Laufsteg, skurriler Auftritt einer etwas durchgeknallten Person, unterstrichen durch überlange Fingernägel, die bei den Tänzer/innen im Laufe des Abends immer länger werden. Bis zum meditativen Auftritt einer Solistin mit Halbmeter-“Spießen“, aufgesteckt auf den Fingerspitzen. Sie bewegt sich im Zeitlupentempo nach vorn, von einer IV. Position zur nächsten, während die Finger immer neue „Spieß“-Figuren zeichnen. Fortgeführt wird der Effekt bis zum witzigen Stäbchenballett, bei dem mehrerer Tänzer/innen vor einer halbrunden, schwarzen Miniwand mit den Utensilien klassische Schritte parodieren.

Im Wechsel der geschickt ausgewählten Musiken vom asketischen Schlagzeugmarsch über fließende Klangströme bis zum üppigen Bigbandsound, schreckt Horn auch vor abgrundtiefer Albernheit nicht zurück, bringt drei Männer mit aufgeblasenen Backen als Posaunenengel in kurzem Hemd. Beim großen Finale präsentieren sich alle noch einmal, mehr oder weniger spektakulär wie in einer Show. Den Schlusspunkt aber setzt Horn, die sich von einem ihrer Tänzer bezirzen lässt bis zum Kuss hinterm diskret vorgehaltenen Hut. Das Ensemble serviert die Sequenzen, so wie es sein muss - mit höchster Konzentration, professioneller Präzision und intensiver Gestaltung.


Sehr sehenswert: noch am 13./14. und 15.10., jeweils 20 Uhr, in B 12.
Kontakt unter 040 / 250 40 53 oder 
b12@b12-tanztheater-hamburg.de .

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