Ungefährliche Liebschaften

Das Karlsruher Ballett vertanzt die „Liaisons dangereuses“

Karlsruhe, 03/04/2004

Die Vorlage, die den Stoff für das zweite Handlungsballett bei Birgit Keils junger Kompanie liefert, beruht so stark auf dem Wort, dass die Unternehmung einer Tanz-Adaption geradezu abenteuerlich erscheinen muss. Welchen anderen Grund sollte es geben, wenn die oft verfilmten und erfolgreich für die Sprechbühne adaptierten „Gefährlichen Liebschaften“ aus dem Jahr 1782 keinerlei bekannte Tradition auf der Ballettbühne haben? Der Österreicher Jörg Mannes, Ballettchef in Bremerhaven und designierter Direktor am Landestheater in Linz, hat jetzt sein vor zwei Jahren in Bremerhaven uraufgeführtes Werk für die Karlsruher neu bearbeitet. Es ist ein hübsch anzusehendes Handlungsballett mit hellen, leichten Tuch-Kulissen, mit Schaukeln und Paravents, mit edlen, knappen Brokatkorsagen für die Damen und eleganten Anzügen für die Herren. Die Barockmusik verschiedener Komponisten ist so zusammengestellt, dass die kurzen Concerto-Sätze oder Arien genügend Raum für die rein klassisch grundierten Solos und Ensembles bieten.

Mit dem berühmten Briefroman von Choderlos de Laclos allerdings hat dieses Ballett wenig zu tun – weder scheint in irgendeiner Weise der intellektuelle Zynismus der Vorlage durch, noch die Vielschichtigkeit der beiden bis auf den Tod gegeneinander spielenden Hauptfiguren, und erotisch kann man den familienfreundlichen Abend nun wirklich nicht nennen. Wenn man die Handlung nicht schon vorher kennt, ist sie nur äußerst schwer nachzuvollziehen – kaum hat man zum Beispiel eine der Damen mit ihrer Rolle identifiziert, wechselt sie schon wieder das Kostüm oder der Choreograf verlegt die Ereignisse in eine Art höfischen Tanz hinein, wo der Zuschauer schon Schwierigkeiten hat, einen einzelnen Tänzer im Auge zu behalten, geschweige denn drei oder vier Protagonisten und ihre komplizierten Beziehungen zueinander. Die zerstörerische Wette zwischen dem Vicomte de Valmont und der Marquise der Merteuil wird, da ihr Inhalt mit den Mitteln des Tanzes kaum zu vermitteln sein dürfte, einfach als bekannt vorausgesetzt. Manche Personen charakterisiert Mannes zwar durch choreografische Elemente – die Merteuil hat manchmal etwas von einem Spinnenweibchen, Cécile watschelt ungelenk wie ein junges Entlein – aber ansonsten drücken die Bewegungen einfach gar nichts aus und bleiben leere Ballett-Artistik. Die tugendhafte Madame de Tourvel (Anaïs Chalendard) unterscheidet sich oft kaum von der intriganten Merteuil, und ein paar Raubtiersprüngen am Boden reichen nun wirklich nicht aus, um den zweifelhaften Valmont zu charakterisieren. Es ist zu viel Ballett und zu wenig Handlung. Auch die barocke Musikwahl behindert im Grunde eine überzeugende Umsetzung des Stoffes – das zynische Zertreten der Moral und die schrankenlose Zerstörung aller Werte lassen sich zu den beherrschten, gefassten Emotionen von Purcell bis Vivaldi nur schwer vertanzen.

Wenn die Choreografie nicht genügend ausdrückt, dann sollte man sie wenigstens mit ausdrucksstarken Persönlichkeiten besetzen – was im Falle von Emmanuelle Heyer als Merteuil, Imogen Wearing als Cécile oder Diego de Paula als Danceny durchaus passabel gelingt. Bei Valmont geht es voll daneben. Flavio Salamanka, der neue Jungstar des Karlsruher Ensembles, wird zwar am Schluss frenetisch gefeiert (und das geht für seine technischen Fähigkeiten auch in Ordnung), aber für den dämonischen Verführer ist dieser harmlose Springinsfeld von kaum zwanzig Jahren eine glatte Fehlbesetzung. Er kann zwar spielen und wäre in einer einfacheren, zu seiner Jugend passenden Rolle wie Romeo sicher gut aufgehoben, aber er ist weder der wollüstige Verführer der jungen Cécile noch der raffinierte Verehrer der tugendhaften Tourvel und schon gar nicht das intellektuell gleichrangige Objekt der Begierde der intriganten, berechnenden Merteuil. Ob es wirklich eine so gute Idee war, diesen schwierigen Stoff mit einem so jungen Ensemble zu vertanzen? Oder ihn überhaupt zu vertanzen.

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