Jörg Mannes: „Liaisons dangereuses“

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Karlsruhe, 16/04/2004

Unmöglich, dieses Vorhaben, den Briefroman des Choderlos de Laclos zu verballettisieren! Dieses literarische Unikum, das so ganz aus der Sprache gezeugt ist – aus der Schrift – nicht aus der gesprochenen Sprache. Weshalb denn auch Heiner Müller, als er ihn 1981 seinem „Quartett“ zugrunde legte, ein ganz neues Stück für zweimal zwei Personen daraus machte – über die Gewaltbeziehung zwischen Mann und Frau. Von solchem Ehrgeiz war Jörg Mannes, fünfunddreißigjähriger Ballettchef in Bremerhaven und demnächst in gleicher Position am Landestheater Linz tätig, weit entfernt, als er vor zwei Jahren sein Ballett „Liaisons dangereuses“ im hohen Norden herausbrachte. Der begnügte sich mit einer tänzerischen Nacherzählung der Handlung, die dabei freilich notwendig ihren Zynismus, ihre Verruchtheit, ihre abgrundtiefe Bösartigkeit – und leider auch ihre eiskalte Erotik einbüßte.

Ja, wenn ich mir vorstelle, dass Roland Petit diesen Stoff vor zwanzig Jahren aufgegriffen hätte – mit einer damals vierzigjährigen Birgit Keil als Marquise de Merteuil und einem Vladimir Klos als Vicomte de Valmont. Wie ihn Mannes jetzt für die blutjunge Karlsruher Truppe adaptiert hat, werden aus diesen „Gefährlichen Liebschaften“ eher amourös vertändelnde „Jeux d‘enfants“ (immerhin noch bevor die Engländer mit ihren von Michael Corder fürs English National Ballet geplanten „Les Liaisions dangereuses“ zum Zuge gekommen sind). Sieht man von dem unvermeidlichen literarischen Substanzverlust der Ballettversion ab, muss man Mannes bescheinigen, dass er ein fabelhaftes abendfüllendes Handlungsballett zustande gebracht hat – leicht, duftig, elegant (in Susanne Sommers pastellener Ausstattung), mit einer geschickten, mir persönlich ein bisschen zu gestückelten, zu bunten Musikauswahl (am stimmigsten in dem Adagio aus Mozarts Gran Partita – ich könnte mir – nach dem Vorbild von Kyliáns „Petite mort“ – ein ganzes Ballett aus Mozart-Klavierkonzertsätzen zu diesem Stoff vorstellen). Und vor allem: mit ganz unglaublich reich und differenziert ausgearbeiteten und charakterisierten Rollen – unendlich überlegen etwa den biederen Klischees in Malakhovs „Cinderella“. Differenzierter sogar als Cranko und MacMillan in manchen ihrer Rollenporträts (nicht der Protagonisten – ich denke an die Tattergreise beim Ball bei Larina und an die Halbwelt-Kurtisanen in „Manon“).

Der Mann beherrscht souverän sein Handwerk – und er denkt immer in theatralischen Dimensionen. Was würde er erst zustande bringen, wenn er mit reiferen Persönlichkeiten zusammenarbeitete – etwa mit den Charaktertänzern vom NDT III (oder mit Marcia Haydée und Ismail Ivo)! Immerhin: was er aus den Junioren vom Karlsruher Ballett herausholt, wie er sie herausfordert und über ihre bisherigen Möglichkeiten à la „Don Quixote“ sich neue darstellerische Möglichkeiten erarbeiten lässt, prädestiniert ihn geradezu als einen Choreografen für große dramatische Stoffe. Die Tänzer wissen es ihm zu danken. Es war ein glänzender Einfall von Birgit Keil, ihn für ihre Youngsters zu engagieren. Die Karlsruher tanzen am Ende ihrer ersten Spielzeit bereits mit einem Finish und einer Politur, die ein glänzendes Zeugnis für die Professionalität ablegen, mit der hier gearbeitet wird. Und wenn ich auch nicht alle Charaktere in diesem verzwickten Intrigenspiel identifizieren konnte: was Flavio Salamanka als Valmont, Imogen Wearing als Cécile, Antonia Vitti als Volanges und Diego de Paula als Danceny hier zeigen – und besonders Salamanka, der bis zur Totalerschöpfung gefordert wird –, lässt kaum glaublich erscheinen, dass sie alle (bis auf die etwas reifere Emmanuelle Heyer als Merteuil) gerade so um die zwanzig Jahre alt sind. Kein Zweifel: Karlsruhe ist die Aufsteigerkompanie der Spielzeit 2003/04!

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