Tokyo Ballet mit Béjarts „Sacre du printemps“, „Feuervogel“ und „Bolero“

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Stuttgart, 14/07/2004

Wie Du mir, so ich Dir: so das Prinzip des seit Jahren praktizierten Gastspielaustauschs zwischen dem Stuttgarter Ballett und dem Tokyo Ballet. Wogegen nichts zu sagen wäre, wenn ähnliche Übereinkommen auch mit anderen Kompanien bestünden. So aber bekommt Stuttgart aus dem Fernen Osten alle paar Jahre wieder die Kompanie von Tadatsugu Sasaki zu sehen – und sonst praktisch keine andere. Auf ihrer diesjährigen Europa-Tournee haben sie jetzt in Stuttgart zweimal ihr Béjart-Triptychon präsentiert: „Sacre du printemps“, „Feuervogel“ und „Bolero“ – begeistert akklamiert von den Stuttgartern, die ja früher, zu Marcia Haydées Zeiten, mit Béjart eher überversorgt waren, denen inzwischen jedoch in Sachen Béjart eine Zwangsentziehungskur verordnet wurde. Was zahlreiche Stuttgarter Freunde des Balletts aufrichtig bedauern – und vielleicht ja auch manche der Stuttgarter Tänzer, die sich sicher mit Wonne in Rollen stürzen würden, wie sie beispielsweise Béjarts „Gaité Parisienne“, „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und „Bolero“ bieten.

Die Tokioter, inzwischen offenbar die einzige große ausländische Kompanie, die – aus welchen Gründen auch immer – ein ansehnliches Kontingent von Béjart-Balletten im Repertoire führt, tanzen seit den achtziger Jahren Béjart und haben ihn inzwischen augenscheinlich gründlich verinnerlicht. Den jugendlichen Elan und die Unbekümmertheit der Béjart-Tänzer in Lausanne ersetzen sie durch eine gesoftete rituelle Qualität. So erscheint ihr „Sacre“ viel abstrakter, oder vielleicht besser: konzertanter, ohne die enorme erotische Aufgereiztheit, die uns bei der Premiere vor 45 Jahren in Brüssel so kolossal beeindruckte. Gleichwohl: nie erschien mir Béjarts Version formal so ausgewogen, so geradezu architektonisch konzipiert wie bei der jetzigen, ungeheuer diszipliniert getanzten Wiederbegegnung – nie auch, in keiner anderen Choreografie zwischen Mary Wigman, Pina Bausch und jüngst bei Tero Saarinen, in keiner konzertanten Wiedergabe zwischen Markevitch und Gergiev, habe ich die Musik Strawinskys, die 1913 bei der Uraufführung von den Zeitgenossen als ein einziges Chaos empfunden wurde, so geordnet, so total durchorganisiert gehört wie an diesem Abend angesichts dieser Aufführung.

Umso enttäuschender die Wiederbegegnung mit dem „Feuervogel“ – nicht zuletzt wegen der schmerzhaften musikalischen Amputationen. Unbegreiflich, wie wir damals, 1970/71 bei der Premiere im Brüsseler Cirque Royal, Béjarts Version als so politisch brandaktuell empfanden, mit Bortoluzzi in der Titelrolle als Phoenix der Revolution – quasi als ein Genosse von Che Guevara. Große Genugtuung dagegen, sich danach dann wieder von der unverminderten Eskalationswucht des „Bolero“ mitreißen zu lassen – auch wenn Mizuka Ueno als Exorzisten-Domina wie eine Spektralerscheinung wirkte, durch die hindurch wir Duska Sifnios, Jorge Donn, Marcia Haydée und Richard Cragun zu sehen glaubten.

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