Terpsichore IV

Phantastische Balanchine-Gala

München, 14/03/2004

Balanchines 100. Geburtstag zu feiern heißt eine Vielzahl von Aspekten zu bedienen. Eine Gala zeigen heißt, dem Publikum internationale Spitzenkönner zu präsentieren und die Leistungsfähigkeit des eigenen Ensembles auch in diesem Zusammenhang zu bestätigen. Dies alles gelang auf der Grundlage einer perfekten Dramaturgie, die die gesamte diesjährige Ballettwoche in nuce spiegelte.

In Balanchines Brahms-Schönberg Quartett gab es ein Wiedersehen mit Kusha Alexi (jetzt Monte Carlo) und ihrer schönen Aura einer intuitiven Tänzerin, die zum Auftakt dieses viersätzigen großen Ensemble-Werks die geschliffene Eleganz ihrer vier Begleiter und deren je vier Tänzerinnen mit Leichtigkeit überstrahlte, und deren weibliche Anmut Lukas Slavický mit seinem jugendlichen Schwung gut zur Geltung brachte. Allerdings legte erst Lucia Lacarra im „Intermezzo“ das hohe Balanchine-spezifische Tempo in den Füßen an den Tag und bezauberte an der Seite von Roman Lazik mit fasziniernder Ausdruckskraft. Das Andante con moto tanzte Lisa-Maree Cullum mit dem edlen Charme der Zurückhaltung neben Alen Bottaini, der zum Fortissimo der Bläser mit einer Energie-Explosion imponierte. Als schließlich Maria Kowroski vom New-York-City-Ballet das Rondo alle Zingarese tanzte, gingen einem die Augen über: Mit ihrem bildschönen weiblichen Körper, mit langen, hohen Beinen und stechend akzentuierten Armen, einer faszinierenden Linie und Temperament tanzte sie mit scharfer Attacke, die nie hart wirkte. Schade, dass Ilya Kuznetsov aus St. Petersburg, der anstelle des zu spät angereisten Igor Zelensky als ihr Partner engagiert war, nur routiniert chargierte! Doch das störte wenig neben dem souveränen Feuerwerk Kowroskis. Die Besetzung Alexi, Lacarra, Cullum und Kowroski, integriert in eine hervorragende Ensemble-Leistung, machte „Brahms-Schönberg“ zur starken Eröffnung.

Mit „Serenade“ folgte ein Signaturstück der Heinz-Bosl-Stiftung. Balanchines erstes Werk, das er für seine neue Schule in Amerika choreografiert hat, präzise fließend und spannungsvoll von den Studenten der Münchener Ballettakademie getanzt, mündete immer wieder in schöne Tableaus, war musikalisch beschwingt und gewann im Schlusssatz dezente Bedeutsamkeit. Dann wurde der Einfluss Balanchines auf spätere Choreografen exemplarisch an Hans van Manen gezeigt, dessen „Solo“ zur Partita Nr. 1 für Violine solo in b-moll von Bach u. a. das rasante Tempo, die Spannung der Bewegung und das amüsante Understatement Balanchines in ein Extrem treibt. Die Ausführenden Alen Bottaini, Lukas Slavický und Alexandre Vacheron realisierten das mit souveränen Übergängen so glänzend, dass das Publikum begeistert aufschrie! Gleich anschließend demonstrierte Lacarra an der Seite Benjamin Pechs von der Pariser Oper ihre Weltklasse in dem berühmten Pas de deux aus „Agon“. „Abstract, cool, jazzy“, auch das war Balanchine, der ja weit mehr als die Hälfte seines Lebens in New York verbrachte und die neue Kultur in seine eigene integrierte. Die bizarren Verschlingungen realisierte Lacarra mit unglaublicher Flexibilität und vollendetem Formbewusstsein. Die anschließende „Tarantella“ sollte mit der virtuosen Umgestaltung von Folklore einen weiteren Aspekt Balanchines zeigen, doch dafür hätte man sich lieber mit dem 4. Satz aus „Brahms-Schönberg“ begnügt, denn was Ambra Vallo an der Seite von Chi Cao (beide Birmingham Royal Ballet) tanzte war nur niedlich, während er mit souverän präsentierter Technik in einer lässig-folkloristischen Attitüde gefiel.

Noch vor der zweiten Pause folgte mit „Apollo“, dem Opus 84 des damals 24-jährigen, das Meisterwerk Balanchines, mit dem er Manifest seiner Kunst schuf. Und was zeigte diese Gala für einen Apollon! Als der Vorhang aufging, stand Igor Zelensky in Statur und Präsenz da wie ein Sonnengott. Weit ausgreifend in seinen Sprüngen wechselte er scheinbar beliebig zwischen Pan-artiger Spontaneität und geistig-klarer Überlegenheit und reichte so in die Dimension göttlicher Heiterkeit, der Hoheit aber auch, mit der er den Musenwettstreit anstößt. Sherelle Charge und Kusha Alexi als Calliope und Polyhymnia tanzten elegant und klar die zunächst enttäuschten Musen. Maria Kowroski verkörperte in ihrem zweiten Auftritt eine Terpsichore, dicht und präzise, von einer Qualität, angesichts deren es nur folgerichtig war, wie Zelensky den Wechsel von Apollons Übermut zur Freude über das Gefundene und über die eigene Kraft vollzog. Der russische Weltstar vom St. Petersburger Mariinsky Theater ist seit einem Jahr von seiner langen Verletzung genesen, und es ist offensichtlich der beste Zelensky, den es je gab! Nach diesem künstlerischen Gipfel schloss die Gala mit „the second detail“ von William Forsythe, der gerade erstmals drei seiner Ballette in St. Petersburg einstudiert hat und sich den russischen Tänzern mit den Worten: „Ich bin ein Schüler Balanchines“ vorstellte. Forsythe steht für die radikale Weiterentwicklung des von Balanchine angelegten Konzepts, dass es im Tanz um nichts als Tanz und die im Körper angelegten Strukturen geht. Das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts meisterte hier ein weiteres ganz eigenes Tanzidiom: messerscharf, cool, virtuos, futuristisch! So viele Tänzer mit verschiedenen Stil-Präferenzen, und alle haben als gemeinsame Spezialität die Vielseitigkeit, mit der sie in dieser Ballettwoche Programme von Ek, Kylián, Neumeier und Balanchine bis Petipa tanzen.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern