"Das Zauberschloss von Naina" von Michel Fokine von 1917. Tanz: Tänzerinnen der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Tanz.

Vielfalt der Tanzstile

Gefeierte Frühlingsmatinée der Heinz-Bosl-Stiftung in der Staatsoper München

Seit 45 Jahren ist die Matinée der Heinz-Bosl-Stiftung jung geblieben und führt auch dieses Frühjahr sicher durch 170 Jahre Tanzgeschichte.

München, 07/04/2023

Wenn es heißt, „jeder neue Frühling bekommt seine Heinz-Bosl-Matinée“ und das seit 45 Jahren, das macht neugierig. Ein stolzes Alter und doch jung geblieben. Mit 30 Jahren, so Ivan Liška, der Ballettchef der Heinz Bosl-Stiftung sinngemäß, sei noch längst nicht Schluss mit der Tanzkarriere. Er selbst, sowie Terence Kohler und seine Crew seien das lebende Beispiel dafür, dass es nach der aktiven Tanzkarriere weitergehe. Auch im Lehrplan der Ballettakademie habe man diesen Aspekt schon längst verankert. Man erinnere sich nur an das Tanzsymposium an der Hochschule für Musik und Theater „Tanzausbildung im Wandel“ im vergangenen Jahr, wo dieser Punkt „Nach der aktiven Tanzkarriere“ als ein Kernthema zur Sprache kam. Dass man jung geblieben ist, zeigt das Programm der Bosl-Frühlingsmatinée auch in diesem Frühling wieder, auch wenn die jüngsten Tanztalente dieses Mal nicht vertreten waren. Mehr noch, das junge, hier bei dieser Matinée anwesende Publikum soll sich durchaus ermutigt fühlen, seine Begeisterung (mit)zu teilen.

Jung geblieben bedeutet in dieser Dramaturgie, Neuem aufgeschlossen zu sein, ohne die Tradition zu vergessen. So begann die Matinée mit Michel Fokines „Zauberschloß von Naina“, das mit seiner scheinbaren Leichtigkeit den Frühling und Helligkeit auf die Bühne bringt. Luftig, die Gesetze der Schwerkraft scheinbar überwindend, stellt die so unglaublich leichtfüßige Ballettszene aus Glinkas Oper „Rusalka und Ludmilla“ hohe Ansprüche an Technik und architektonische Ästhetik. Das Werk, das in der Tradition der Waganowa-Lehre steht, greift typisch italienische, spanische und orientalische Elemente auf, wie sie zur Zeit Glinkas üblich waren und zum Ziel hatten, die Protagonisten Ruslan und Ratmir zu verführen oder betören. Im Mittelpunkt steht hier nicht der Einzelne, sondern das gesamte Corps de Ballett mit seiner symmetrischen, klassischen Formensprache. Insofern ist das „Zauberschloß“ ein virtuoses Werk, das den Tänzer*innen ein hohes Maß an klassischer Tanztechnik abverlangt, um die hier dargebotene Leichtigkeit und Frische auf die Bühne zu bringen.

Souverän meistert das Ensemble die Divertissements aus August Bournonvilles „Ein Volksmärchen“. So harmlos wie diese Choreografie scheint, ist sie mit ihren technischen und ästhetischen Herausforderungen und Finessen alles andere als ein Kinderspiel: Flinke Füße bei nahezu unbeweglichem Oberkörper und einem Mix aus Pirouetten, Sprüngen und schwungvollen, folkloristischen Elementen sind für Bournonville charakteristisch. Keine geringere Persönlichkeit als die Bournonville-Spezialistin Dinna Bjørn übernimmt die Einstudierung dieser Divertissements. Bjørns fundierte Fach- und Sachkenntnis garantieren Qualität und Nähe zum Original. Wie sehr ihre Student*innen davon profitieren, sozusagen aus erster Hand, war auch in der diesjährigen Bosl-Matinée zu sehen.

Geistige und körperliche Flexibilität, Wendigkeit kennzeichnen die Studierenden der Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater München. Wie sonst ist zu erklären, weshalb die Absolventen dieser Ballettakademie wie „warme Semmeln abgehen“, um es salopp zu formulieren, problemlos an renommierten Bühnen Engagements bekommen. Moderne, gestenreiche in fast durchgängig fließender Bewegungssprache, zuweilen mit gezielter Aggressivität und spannungsreicher Körperlichkeit wechseln einander ab, wie sie in Hans van Manens „Concertante“ zur Musik Frank Martins anzutreffen ist.

Kontrastreich, eindringlich, auch brutal geht es in David Russos „The 6th Sense“ zu. Dabei geht es inhaltlich um die intellektuelle Beschäftigung mit dem Tanz, allerdings mehr um die Gruppe als um die Individualität: Es stellt sich die Frage, wer ist für den Tanz verantwortlich - aus Sicht der Neurowissenschaften. Es bietet sich ein buntes Bild zeitgenössischer Tanzsprache, einschließlich dem gesprochenen Wort sowie HipHop-ähnlichen Bewegungen, mal Massenszenen, mal kleinere Gruppen. Von bunten schnellen Bewegungen, einer temporeichen extrovertierten Tanzsprache gelangen wir in die Welt des Reisenden.

Den Abschluss dieser Matinée bilden Gustav Mahlers hinreißende, bewegende „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die alle Tanzstudent*innen in ihrer Individualität zu Geltung kommen lässt. Ohne Frage sind alle fünf Paare, die den unglücklich Reisenden darstellen, sprich: unglücklich Verliebten verkörpern, in der Lage, den Liebesschmerz in seinem Facettenreichtum, seiner unterschiedlichen Ausprägung ergreifend auf die Bühne zu bringen. Die Kunst, als junger Tanzstudent oder junge Tanzstudentin eine aufwühlende Ausgestaltung dieser Rolle des „Ewig Reisenden und Trostsuchenden in der Natur“ in ihrer Melancholie, Verzweiflung überzeugend auf die Bühne zu bringen und dabei die anspruchsvolle Technik, die der Choreografie (in diesem Falle Jiri Kylián) zugrunde liegt, als etwas Selbstverständliches erscheinen zu lassen, darin liegt wohl das Geheimnis des Erfolges dieser Ballettakademie.

 

Kommentare


Michail Fokine wurde 1880 geboren, die Choreographie zum "Zauberschloss" kann also nicht von 1842 stammen.

Die Bournonville-Spezialistin hießt Dinna Bjørn, nicht Diana.


Liebe Mascha, den Tippfehler mit Dinna Bjørn haben wir gerne korrigiert. Die Choreografie zum "Zauberschloss" ist von 1917. Die Choreografie von August Bournonvilles Divertissements aus "Ein Volksmärchen" ist von 1854.


Seit mehreren Jahren verfolge ich die aktuellen Kritiken im Tanznetz mit mehr oder weniger sachlichen Fehlern, wie auch im vorausgegangenen Kommentar bemängelt wird … Irgendwann ist es aber genug und ich muss mir endlich doch mal Luft machen.

Offenbar ist es heutzutage megaout, sich über Dinge (speziell, wenn man sich damit nicht auskennt!) zu informieren, bevor man sie im Netz veröffentlicht, wie z.B. „… Glinkas Oper „Rusalka und Ludmilla“ 😂 „Rusalka“ ist eine Oper von Dvorák, Glinkas Oper heißt „Ruslan und Ludmila“. 
Vielleicht wäre künftig ein wenig mehr Hintergrund-Recherche ganz sinnvoll, auch zu den weiteren Statements über die Ballettakademie…

Nix für ungut!


Lieber Harvey,

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