Schwierige Wirkung eines Liebespaars

Wiederaufnahme der „Kameliendame“ mit Lucia Lacarra

München, 23/02/2004

„Na, hast du geweint?“ – „Nö, leider nich.“ – „Ich schon.“ Und eine Dame aus Japan sagte aufrichtig: „Almost!“ Solche Wortgeplänkel nach dem zweiten Akt verrieten bereits, wie „Die Kameliendame“ bei ihrer Wiederaufnahme wirkte – oder nicht. John Neumeiers Adaption des Romans von Alexandre Dumas d. J. bleibt auch mit den neuen Pianisten Dascha Lenek, Svetlana Behrisch und Simon Murray im Zusammenspiel mit dem Staatsorchester unter der Leitung von Dieter Rossberg von wunderbarer Transparenz für den Tanz. Nichts überdeckt die Musik, die, glücklich gewählt aus Werken von Frédéric Chopin, in ihrer gehetzten Morbidität zum authentischen Ausdruck dessen wird, wie Armand Duval die Liebe von Marguerite Gautier – glänzendste Kurtisane im Paris des 19. Jahrhunderts – gewinnt, wie sie ihn auf Wunsch seines Vaters verlässt und dann verarmt an Schwindsucht, der damaligen Todeskrankheit, stirbt. Zwischen Lust und Schmerz strukturieren die leidenschaftlichen Pas de deux von Marguerite und Armand die Stadien dieser scheiternden Liebe. Neumeiers Tanzsprache und die Faszination durch seine geniale Dramaturgie, die dem grandiosen Rückblick mit Bildern aus Abbé Prevosts Roman „Manon Lescaut“ (den schon Dumas zitierte) eine cineastische Vielschichtigkeit verleiht, haben von ihrer Kraft nichts eingebüßt. Und die vom Corps de ballet schwungvoll getanzten Bälle tragen nach wie vor zum Reichtum dieses Dreiakters bei wie eine Fülle charaktervoll gestalteter Nebenrollen.

Gleichzeitig wurde jedoch sichtbar, was für eine starke Tradition „Die Kameliendame“ mit Besetzungen wie Judith Turos, Elena Pankova und Maria Eichwald sowie Luca Masala und Alen Bottaini auch in München hat, und wie viel (vielleicht auch Glück) dazugehört, dass die leidenschaftliche Darstellung eines Paares wirklich mitreißt. Lucia Lacarra, die neue Marguerite Gautier, bringt von Aussehen, Technik und Ausdruckskraft alles mit, was eine Kameliendame braucht. Sie verwirklichte Neumeiers Choreographie detailgenau, war in der Analyse ihrer Rolle interessant, übertrieb etwas die anfängliche Affektiertheit und versäumte es, die Wendung Marguerites sichtbar nachzuvollziehen: wie sie aus einem konventionellen Kurtisanen-Flirt heraus Armands Gefühle ernst nimmt und wirklich beginnt, an die Möglichkeit einer echten Liebe zu glauben. Ihr Partner Roman Lazik überzeugte tänzerisch und wirkte als großer, eleganter Armand sehr attraktiv, begann auch mit gutem Legato, ließ aber im Mittelakt in seiner Präsenz nach. Das befreite Glück des Verliebtseins scheint nicht in seinem Naturell zu liegen, und da er auch Armands Wut und Verzweiflung darüber, dass Marguerite ihn scheinbar für ihr Kurtisanen-Leben verlassen will, nicht eruptiv genug tanzte, verlor sich die Fallhöhe, die zuverlässig für Tränen sorgt. So bildete die Begegnung von Marguerite mit Armands Vater den künstlerischen Höhepunkt des Mittelaktes, als Ivan Liska und Lacarra mit hochkonzentrierter Ausdruckskraft jedes Wort des Gesprächs verdeutlichten, das zu Marguerites Entsagung führt. Im dritten Akt steigerte sich Lacarra zur verzweifelt Liebenden, und Lazik konnte zeigen, wie viel Selbstvertrauen er gewonnen hat, in seine Imagination hineinzugehen und sie auch nach außen zu offenbaren. Man traut ihm jetzt noch mehr zu.

Nach einer Pause von über drei Jahren waren viele weitere Tänzer neu. Unter ihnen sorgte an der Seite Norbert Grafs erstmals Lisa-Maree Cullum dafür, dass die „Manon“-Einlagen in ihrer Rokoko-Verspieltheit Glanzpunkte wurden. Sie gewann, brillant tanzend, mit zurückhaltender Koketterie eine erotische Ausstrahlung, die mit der übermütigen Geziertheit des von Graf mit tollem Legato und in schöner Männlichkeit dargestellten Des Grieux gut harmonierte und ihre drei Begleiter zu blitzsauberem Tanz animierte. Dieses Paar hatte auch im Untergang eine überzeugende Entwicklung, und den imaginativen Begegnungen von Marguerite mit Manon und Armand mit Des Grieux folgte man gebannt. Auch Sherelle Charge und Alexandre Vacheron als Prudence und Gaston Rieux tanzten hervorragend und verkörperten, warmherzig um Marguerites Wohlergehen besorgt, von der Ausstrahung her am schönsten ein Liebespaar in der Lebensfreude der Bonvivants. Mit ihrer Rolle als Olympia überfordert war Fiona Evans, die nicht deutlich machen konnte, dass sie sich für etwas Besonderes hält und ihrer Rivalin mit der Verführung Armands lediglich eins auswischt. Hundertprozentig erfüllten die Erwartungen an ihre Rollen Beate Vollack als Nanine, Peter Jolesch als Herzog, Marc Geifes, der den leichtlebigen Grafen, dem alles schief geht, anscheinend in sich aufgesogen hat, und Ferenc Barbay als Auktionator. Das Publikum zeigte sich insbesondere von Lacarra und Lazik begeistert.

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