Riverdance mit Staubsaugern

Das Bayerische Staatsballett tanzt Mats Ek

München, 10/03/2004

Bunt, laut und skurril ist der Abend, nach dem man das Nationaltheater zum ersten Mal seit langer Zeit wieder voller Ballett-Enthusiasmus verlässt. Zur Eröffnung der diesjährigen Ballettwoche widmet Ivan Liskas Kompanie mit dem „Portrait Mats Ek“ dem Tanz-Revolutionär aus Schweden eine weitere Folge ihrer Choreografen-Reihe – van Manen, Kylián und Neumeier waren schon dran. Ek ist ein sparsamer Tanzschöpfer – gerade in letzter Zeit wurde der Abstand zwischen seinen Werken immer größer. Zum in München schon länger bekannten „A Sort of...“ kam jetzt „Apartment“ hinzu, vor vier Jahren unter dem französischen Titel „Appartement“ fürs Pariser Opernballett entstanden. München hat damit das vor- und das drittletzte Ballett des 58-jährigen Sohns von Birgit Cullberg im Repertoire. Die Musik zu „Apartment“ stammt vom schwedischen Fläskkvartetten (oder Fleshquartet); für wenige Aufführungen spielt diese Streicher-Rockband ihre Fusion-Musik sogar live auf der Bühne des Nationaltheaters, sie donnert mystisch und pulsierend wie der Soundtrack eines Science-Fiction-Films.

„Apartment“ zeigt alltägliche Vorgänge in einer Wohnung, auf einer Straße: Beziehungskrisen (im Titel steckt auch das Wort „apart“, auseinander), Reinemachen, ein Besucher an der Tür, das Badezimmer. Getanzt wird meist in Straßenschuhen, in einfarbigen Anzügen oder Kleidern in den gedeckten Naturtönen des Nordens – die Menschen auf der Bühne sehen dezidiert alltäglich aus, gehören deutlich in die heutige Zeit. Als unbewegliche Couch Potatoe lungert Norbert Graf in seinem Fernsehsessel und hebt wie in Trance zum Pas de deux mit dem flimmernden Licht von der Mattscheibe an, hypnotisiert zugleich und doch der Faszination trotzend. Wenn fünf Frauen sich neben ihre Staubsauger stellen und mit versteinerten Gesichtern irische Riverdance-Schritte hopsen, dann sieht das komisch aus, aber gleichzeitig wird einem mulmig dabei. Das Psychoduell einer zerfallenden Ehe (Valentina Divina, Roman Lazik) endet damit, dass die Frau das schwarz verbrutzelte Baby aus dem Ofen holt und ihr Partner damit im Boden versinkt. Immer wieder setzt Mats Ek solche skurrilen Paukenschläge exakt auf der Grenze zwischen Komik und Entsetzen, immer wieder zuckt man unter den kleinen Schocks zusammen, die er in die scheinbar normale Alltagswelt hereinplatzen lässt.

Auch in „A Sort of...“ prallt zur elektronisch verstärkten Musik von Henryk Górecki die naive Lust am bunten Spiel auf den lakonischen Horror des Alltags. Gespielt wird mit Luftballons, Puppen, bunten Baustellenbändern oder mit dem Theater selbst – wenn der rotgoldene Vorhang des Nationaltheaters aufgeht, sieht man die identische Kopie, und dahinter wieder, und so weiter. Gespielt wird auch mit dem Rollenverständnis der Geschlechter: zum Pas de deux tritt er im rosaroten Wintermantel und in Damenschuhen an, sie trägt den Anzug – und wenn dann die Frau in Männerkleidung auf der Brust des Mannes in Frauenkleidung steht, muss man erstmal seine Symbolik neu sortieren. Es scheint, als habe den Choreografen das Thema seiner berühmten Irrenanstalts-„Giselle“ noch immer nicht losgelassen: die kindliche Unbefangenheit kollidiert mit dem psychisch kaputten, dumpfen Großstadtleben, und es kann nur schlecht ausgehen. Als würde sich die Wut darüber in einem Sturm fangen, fegt dann manchmal eine dieser wilden, schnellen Gruppen-Formationen über die Bühne, deren aggressive Energie, ja Urgewalt die kunstvoll ziselierte Ordnung der klassischen Schule in Grund und Boden tanzt.

Auf Schönheit kommt es Mats Ek nicht an – seine eckige, kantige Tanzsprache kennt die elaborierten Feinheiten nicht, sie erscheint spontan und natürlich und erreicht den Zuschauer deshalb umso direkter. Genau wie die Münchner Tänzer, die sich hier, angefangen bei Sherelle Charge, Alen Bottaini und Alexandre Vacheron mit Begeisterung und Hingabe in den Persönlichkeitsstil eines Choreografen stürzen, die einem in München so oft fehlte.

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