Oliver Matz beendet als Onegin seine Tänzer-Karriere

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Berlin, 16/05/2004

Von dem halben Dutzend deutschen Tänzern, die sich einen internationalen Namen gemacht haben, eroberten sich immerhin vier als tänzerische Botschafter Berlins die Bühnen der Welt: Gert Reinholm, Peter van Dyk, Claus Schulz und Oliver Matz (die beiden anderen kamen aus München: Heinz Bosl und Peter Breuer). Jetzt hat sich Oliver Matz, als erster mit dem Ehrentitel „Berliner Kammertänzer“ ausgezeichnet, von den angeblich weltbedeutenden Brettern verabschiedet – als Onegin in der Cranko-Produktion des Balletts der Berliner Staatsoper Unter den Linden, an der Seite Naja Saidakovas als Tatjana, mit Vladimir Malakhov als Lenski, Corinne Verdeil als Olga und Martin Szymanski als Gremin.

Matz, gebürtiger Rostocker des Jahrgangs 1962, kommt aus der Ost-Berliner Tänzerschmiede von Martin Puttke. Seit 1980 Mitglied des Staatsopernballetts hat er seiner Heimkompanie ein Vierteljahrhundert die Treue gehalten. Ungeachtet aller Verlockungen, eine international glamourösere Karriere zu machen, wenn er sich entschlossen hätte, von einem seiner zahlreichen Gastspiele im Westen nicht nach Ost-Berlin zurückzukehren. Ein geborener Prinzentänzer (und er hat sich durch den ganzen Ballettadel getanzt, als Albrecht, Siegfried, Desiré und Jean de Brienne – als Solor sogar auch aus der indischen Dynastie), war er offenbar doch am meisten bei sich selbst, wenn er einen Charakter mit Herz tanzen konnten: als Basilio, als Petrucchio, als Onegin. Er war eben ein Tänzerprinz von Charakter – als Darsteller wie als Mensch (siehe seine Anhänglichkeit an seine Kompanie) – und von wie vielen kann man das schon sagen? Kein blendender Virtuositätschampion (der konnte er auch sein, wenn er entsprechend gefordert war), sondern ein Tanzschauspieler, geadelt durch das Leben – sein Leben, das ein Leben an der Seite einer so hochkarätigen Frau wie Steffi Scherzer ist.

Und nun also der große Bahnhof für den Abschied – mit der Ernennung zum Ehrenmitglied der Staatsoper – allerdings nicht ausgesprochen vom Kultursenator (der sich per Brief entschuldigen ließ) oder vom Regierenden Bürgermeister, sondern von einer Kulturfunktionärin (in Stuttgart unvorstellbar). Vom Publikum ausdauernd und herzlich akklamiert und mit einem Blumenregen aus dem Schnürboden (und nicht aus dem Zuschauerraum – mein Gott, was sind wir doch in Stuttgart verwöhnt!). Nach einer Vorstellung, die, gut getanzt, vor allem den Reifeprozess Onegins sichtbar machte. Seine Entwicklung von einem blasierten Dandy zu einem lebenslang zur Lieblosigkeit Verurteilten, vom Schicksal Geschlagenen und hoffnungslos dagegen ankämpfenden Outcast der Liebe. Ein groß dimensioniertes Tänzerporträt, das wir nun leider in Stuttgart nie zu sehen bekommen. Mit Saidakova als umgekehrt von einem verschwärmten Backfisch zu einer tief lebenden Frau als Tatjana, mit Martin Szymanski als noch sehr jugendlichem Gremin, einem gut gedrillten Corps und der Rose-geklonten Ausstattung von Elizabeth Dalton.  Als hochdramatisches Handlungsballett in Berlin auf dramatischer Sparflamme eher halbgar serviert.

Wenn er jetzt nach 24 Jahren – das ist mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens – sich als Mitglied des Staatsopernballetts verabschiedet und einen neuen Lebensabschnitt als designierter Direktor der Tanzabteilung an der Zürcher Hochschule für Musik und Theater beginnt, darf man gespannt darauf sein und für ihn hoffen, dass er in der zweiten Halbzeit seiner Karriere als Souverän des Balletts ebenso erfolgreich sein wird wie im letzten Vierteljahrhundert. Und sich so seine Gedanken machen, wie er sich denn wohl bewährt hätte, wenn sein gar nicht so geheimer Wunschtraum in Erfüllung gegangen wäre, nämlich Chef des Berliner Staatsopernballetts zu werden. Eine von inzwischen allzu vielen verpassten Chancen der Berliner Kulturpolitik?

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