Mario Schröder: Wiederaufnahme „The Wall“

oe
Essen, 07/01/2004

Fünfundzwanzig Jahre nach Pink Floyds „The Wall“, Revolutionshymne der antiautoritären Jugend mit ihrer flammenden Botschaft „We don't need no education/We don't need no thought control“ ist ihr aufrührerischer Elan erloschen, heißen die Zeitgeist-Slogans des beginnenden neuen Jahrhunderts: Superstar, Eliteuniversitäten und Manieren. Heute gibt sich Pink Floyd gezähmt, guterzogen und manierlich – und eben deswegen eminent ballettgeeignet.

Da hat Mario Schröder offenbar in Altenburg-Gera schon 1996 den richtigen Riecher gehabt – und der sogenannte Zeitgeist hat ihn bestätigt – bei der Neueinstudierung erst in Würzburg, dann in Kiel und Berlin und schließlich im Herbst 2002 in Essen, das jetzt seine Produktion wiederaufgenommen hat, vor vollem Haus, mit enthusiastischer Zustimmung des Publikums. Damit ist Schröders „The Wall“ das meistaufgeführte deutsche Ballett des letzten Dezenniums – so sehr das auch einige progressive Kritiker wurmt, die noch immer ihren 68er-Komplex kultivieren. „The Wall“ aus der Perspektive von 1979 aufs Tanztheater zu bringen, dazu bedürfte es schon eines Chaoten wie Kresnik!

Es ist ein sehr effektvolles Ballett – ähnlich und doch ganz anders als Peter Breuers Salzburger Version – weniger erzählerisch, mit weniger individuell profilierten Persönlichkeitscharakteren – in einem fabelhaften Bühnenraum, einer Art Raumschiff-Psychiatriezentrale von Andreas Auerbach, toll ausgeleuchtet von Schröder, Auerbach und Bernd Hagemeyer, in klaren, berückend reinen Farben. Ein ästhetischer Genuss! Und so ganz anders choreografiert als von einem unserer Kylian- oder van Manen-Klone. Sichtlich von einem, der sein Handwerk bei Palucca gelernt hat (wie Stephan Thoss) – also erzmusikalisch, sehr architektonisch strukturiert, viel Geschlittere, Gestürze und Kniefälle (daher auch die Knieschoner) – die wenigen Requisiten strikt der Choreografie untergeordnet, teils barfuß, teils in Schläppchen, das Ganze nahtlos, ohne Pause (etwa irritierend der Einschub aus Bachs „Magnificat“), die Figuren nur ansatzweise skizziert, aufgeladen mit Hochspannungselan.

Für die Essener Tänzer sehr ungewohnte Kost, aber sie machen das mit ausgesprochenem Profi-Knowhow, die Frauen mehr unisono als die Männer. Vier Hauptrollen: „Er“, alias Tomas Ottych, anfangs noch ziemlich unbedarft, sich nur langsam in den Charakter des Angry Young Man vortastend, aber mehr und mehr die Züge eines Christus annehmend, sehr mütterlich besorgt die fabelhafte Alicia Olleta, ziemlich gewalttätig der fiese Vater von Stephan Späti, eine wunderbar warmherzige Freundin alias Taciana Cascelli, sehr geil die dominahafte Ludmila Nikitenko als „Chefin“, zwei scharfe Typen Slobodan Jovic und Dragan Selakovic als Aufseher. Das Corps: Ok. Doch so zu tun, als handelte sich‘s ums Nordrhein-Westfälische Staatsballett, halte ich denn doch für leicht übertrieben! Ich wundere mich, dass sich nicht mehr unserer aufmüpfigen choreografischen Jungtürken auf „The Wall“ gestürzt haben! Es ist genau die Art von Ballett, die im Stuttgarter Repertoire fehlt (bei diesen Stuttgarter Männern!). Wall-Climber braucht das Stuttgarter Ballett – keine Nussknacker und auch keine Cinderellas! Anderson sollte sich wirklich einmal die Salzburger Peter-Breuer-Produktion ansehen. Mit Eric Gauthier könnte die ein Stuttgarter Kult-Ballett werden!

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