Jubiläumsgala - Choreo-Kompanien und ihre Schulen

30. Hamburger Ballett-Tage

oe
Hamburg, 17/06/2004

Die dritte der drei Galavorstellungen im Rahmen der 30. Hamburger Ballett-Tage – und zum dritten Mal ein ausverkauftes, am Schluss schier delirierendes Haus – und das bei diesen Preisen! Und das, obwohl sich John Neumeier das Programm mit seiner Thematik der „Choreo-Kompanien und ihre Schulen“ wohl etwas anders vorgestellt hatte und mit zwei Absagen fertig zu werden hatte. Die größte Enttäuschung gab es gleich zu Beginn, denn den hatte Balanchine und das New York City Ballet bilden sollen. Indessen verwandelten die Hamburger die Absage aus New York in den Triumph ihrer Unabhängigkeitserklärung! Und so choreografierte Kevin Haigen „Jubiläumstänze – Hommage à George Balanchine“ mit Schülerinnen und Schülern der Ausbildungs- und der Theaterklassen der Ballettschule des Hamburg Ballett – und das ausgerechnet zu Tschaikowskys dritter Suite in G-Dur, einem Schlüsselwerk des New York City Ballet (fein intoniert vom Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von André Presser).

Eine Anmaßung? Im Gegenteil: ein Coup, der den Hamburgern das bescherte, was für das Ballett der Pariser Opéra das Defilée zu Berlioz‘ Marsch aus den „Trojanern“ ist. Eine Eskalations-Choreografie, die sich aus dem tonlosen Exercise-Auftakt (wie ein Gruß an Balanchines „Serenade“) zu einem schier überbordenden Finale der rund sechzig beteiligten Tänzerjunioren à la Landers „Etudes“ entwickelt. Die nagelneue Visitenkarten-Produktion der Hamburger Ballettschule! Und dann ging es Schlag auf Schlag – dreieinhalb Stunden, und keine Minute zu lang! Zuerst das Béjart Ballet Lausanne / École Atelier Rudra mit „Vivalcita“ für die beiden Garçons Oscar Chacon und Tadayoshi Kukeguchi alias „Le Corsaire Meets Le Faune“. Formidabel! Reinster Béjart, entstanden im Modern Dance Unterricht – natürlich, wie denn auch nicht bei Béjart, für zwei sexy Boys!

Und danach das genaue Gegenteil: St. Petersburger Nobelklassik in Reinkultur. Da hätte Neumeier wohl gern „Paquita“ als Ensemble-Piece gehabt. Stattdessen delegierten die Newa-Aristokraten gerade mal ein Pas-de-deux-Paar: Daria Pavlenko und Daniil Korsuntsev mit dem Grand Pas de deux aus „Dornröschen“. Doch wer hätte dieser Demonstration Petipascher Zarenklassik widerstehen können? Ganz sicher nicht die Hamburger, die hingerissen dieser Lektion in St. Petersburger Liberté, Légèreté, Fluidité und Delicatesse erlagen.

Zum Schluss des ersten Teils: das NDT III mit den Senioren Gioconda Barbuto, Sabine Kupferberg, David Krügel, Egon Madsen und (en travestie) Gérard Lemaitre in Jiří Kyliáns umwerfendem Mozart-Verschnitt „Birth-Day“ – dieser genialen – jawohl: genialen! – Ballett-Farce aus Marivaux, Feydeau, Ionesco, Chaplin, Bunuel und Peter Sellars. Hat es je etwas Hinterfotzigeres seit Robbins‘ „The Concert“ gegeben? Ballett-Humor, gewürzt mit dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts (und von P. & P. Lataster Films entsprechend Video-aufgepeppt).

Nach der ersten Pause dann der komplette dritte „Onegin“-Akt als Geburtstagsgabe des Stuttgarter Balletts: Crankosche Neckar-Klassik aus der Nobelschmiede des deutschen Balletts (die auch einen John Neumeier geformt hat) – mit Alicia Amatriain, Ivan Gil Ortega und Douglas Lee nebst zwölf Paaren aus dem schwäbischen Ballett-Kadettencorps. Da hätten wohl auch Herzog Carl Eugen und sein Ballettmeister Jean-Georges Noverre Augen gemacht, was aus ihrer Saat in zweieinhalb Jahrhunderten geworden ist! Und zu allem Überfluss auch noch diese Spiegel-Korrespondenzen zwischen Cranko-und Kylián! Konnte dieser Programm-Höhepunkt noch übertroffen werden? Und ob! Durch die Charme-Offensive der Königlichen Dänen, die mit ihrem Bournonville-Potpourri aus „Blumenfest von Genzano“ (mit Diana Cuni und Thomas Lund: zwei Super-Ballonisten) und „Napoli“ geradezu Kopenhagener Hochzeitsstimmung vom Kongens Nytorv an die Elbe brachten. Toll, wie es Neumeier immer wieder gelingt, den inzwischen so suspekt gewordenen Gala-Anspruch aufs neue zu legitimieren!

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