Gastspiel in Prag

Ein Hochzeitsprogramm des Bayerischen Staatsballetts

Prag, 19/05/2004

Kaiserwetter in Prag! Nach morgendlichem Training und kurzer Bühnenprobe hatten fast alle Tänzer noch vor der Eröffnungsvorstellung des zweitägigen Gastspiels die Mini-Besichtigung der vielleicht schönsten Millionenstadt Europas mit Karlsbrücke und Hradschin bereits hinter sich. Man war hierher gekommen, um u. a. den aktuellen Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union zu feiern. Dass der Bayerische Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Herr Dr. Thomas Goppel, der Deutsche Botschafter in Prag, Michal Libal, und der stellvertretende tschechische Kultusminister, Zdenik Novak, sowie zahlreiche Honoratioren anwesend waren, unterstrich den politischen Stellenwert dieser Veranstaltung. Mit Balanchines groß besetztem symphonischem „Brahms-Schönberg Quartett“, Jirí Kyliáns „Svadebka“ und William Forsythes „The second detail“ zeigte das Staatsballett am Beispiel dreier ganz verschiedenartiger Aufbrüche in die Moderne seine große stilistische Bandbreite.

Den Balanchine eröffnete mit Lukás Slavický, ein mittlerweile zum Ersten Solisten und Benois-Preisträger aufgestiegener, immer noch junger Prager. Seine Partnerin Zuzana Zahradníková war bereits während ihrer Ballettausbildung am Prager Konservatorium an seiner Seite. Als zweite Ballerina des 1. Satzes würzte Sherelle Charge das „Allegro“ mit auratischer Allüre. Im „Intermezzo“ überzeugte Lucia Lacarra reich akzentuierend an der Seite von Roman Lazik, ehe im 3. Satz „Andante con moto“ Alen Bottaini erneut mit Stilreinheit begeisterte. An seiner Seite gefiel Natalia Kalinitchenko, noch in ihrer ersten Saison in München, indem sie technisch sauber und warmherzig tanzte. Den Vogel schoss Lisa-Maree Cullum mit ihrem feurig-verführerischen Temperament im „Rondo alle Zingarese ab, gepartnert vom jungen Gruppentänzer Marlon Dino, der die Partie des dominanten Volkstanz-Helden immer besser in den Griff kriegt. Das Ensemble realisierte Balanchines „Brahms-Schönberg Quartett“ als anspruchsvollen, duftigen Auftakt.

Im Mittelpunkt von „Svadebka“ und somit des dramaturgischen Zentrums des gesamten Gastspiels stand wiederum Lukás Slavický. In diesem von slawischer Folklore und von Igor Strawinskys mächtiger Komposition „Les Noces“ inspirierten Stück, dessen Titel auf russisch „Die Hochzeit“ heißt, tanzte er den Bräutigam souverän, elegant und glaubwürdig. Als Braut überzeugte die junge Gruppentänzerin Katharina Sobotka, die diese Rolle bisher nur außerhalb Münchens getanzt hat, mit Formbewusstsein. „Matchmakers“ wie Alen Bottaini sorgten für eine klare und intensive Ausführung dieses kraftvoll stilisierten Meisterwerks des aus Prag stammenden Choreografen Jirí Kylián, das an diesem Abend auch die Hochzeit eines neuen und eines alten EU-Landes symbolisierte.

Überraschend war, dass das Publikum das letzte Stück am meisten bejubelte. Allerdings war „The second detail“ auch selten so spektakulär besetzt. Lucia Lacarra hat offensichtlich Spaß an Forsythe! Sie zerschneidet, als würden sie von einem Bogen abgeschossen, mit ihren Beinen messerscharf die Luft und fasziniert gleichermaßen durch extrem gedehnte Posen. Dabei präsentiert sie ihre rasante Virtuosität mit amüsiertem Augenaufschlag. Auch Lisa-Maree Cullum ist mit ihren lasziv-schnippig zelebrierten Wechseln zwischen souveräner Forsythe-Allüre und lässigen Alltagsbewegungen ein Faszinosum. Neben den männlichen Principals Roman Lazik und wiederum Lukás Slavický steuerte jeder der insgesamt 14 Tänzer starke Momente einer selbstbewusst vorgetragenen Körpersicherheit bei.

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