„Die sizialianische Vesper“ und „Der Nussknacker“

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Zürich, 06/06/2004

Nach Zürich der Oper wegen – und die Ballettvorstellung am Abend ebenso mal mitgenommen. Verdi schrieb seine „Sizilianische Vesper“ 1855 für Paris – als große Oper mit Ballett. Sie enthält im dritten Akt seine umfangreichste Ballettmusik überhaupt, ein 30 Minuten währendes Divertissement „Die vier Jahreszeiten“. In den eher seltenen Aufführungen der Oper wird es meist gestrichen, eher begegnet man ihm als separates Stück in mehrteiligen Ballettabenden – zuletzt offenbar in Patrice Barts „Verdiana“ 1999 an der Berliner Staatsoper.

Die Uraufführung choreografierte Lucien Petipa – in der jüngeren Vergangenheit haben sich auch MacMillan (London, 1975) und Robbins (New York, 1979) seiner angenommen. Auch Zürich verzichtet darauf – leider, denn der reichlich statuarischen Inszenierung von Cesare Lievi hätte etwas tänzerische Abwechslung durchaus gut getan (doch auch ohne dauert die Vorstellung mit nur einer normalen Pause immerhin dreieinhalb Stunden). Sie hat allerdings unter der Leitung von Carlo Rizzi ausgesprochen großes musikalisches Format, mit drei Sängerbesetzungen von internationaler Reputation: Leo Nucci als Guido di Monforte, Marcello Giordani als Arrigo und Ruggero Raimondi als Procida – nicht ganz diesen stimmen Qualitätsstandard hat Paoletta Marrocu als La Duchessa Elena.

Wer mehr über diese fußkitzelnde Musik wissen will, sei auf Knud Arne Jürgensens monumentales „The Verdi Ballets“ verwiesen, in englischer Sprache erschienen 1995 beim Instituto Nazionale di Studi Verdiani in Parma. Wer‘s nicht ganz so ausführlich will, ist mit dem „Verdiana“-Programmbuch der Berliner Staatsoper von Christiane Theobald gut bedient. Ein bisschen Ballett gibt‘s immerhin auch in Zürich: eine Tarantella, getanzt von sieben sizilianischen Brautpaaren, in der die französischen Besatzer über die Bräute herfallen und sich ihrer bemächtigen, choreografiert von Daniela Schiavone – ein Routine-Arrangement, routiniert ausgeführt von Tänzern, die nicht zu Spoerlis Kompanie gehören.

Die kommen dafür am Abend ausgiebig zum Zuge, in einer „Nussknacker“-Vorstellung vor vollem Haus – erstaunlich, denn dies ist ein wunderschöner frühsommerlicher Sonntag, an dem es einem wahrlich nicht nach Weihnachten und Schneeflocken gelüstet, und schließlich steht die Spoerli-Produktion schon seit Jahren auf dem Spielplan. Doch sie hat sich erstaunlich gut gehalten (bietet außer dem Schneeflocken-Walzer und dem Nussknacker auch wenig winterliches Ambiente), macht tänzerisch einen grundsoliden Eindruck und kann sich auch musikalisch, dirigiert von Davor Krnjak, durchaus hören lassen (nicht ohne Erstaunen registriere ich wieder einmal, wie raffiniert Tschaikowsky seine Partitur instrumentiert hat).

Das Ballett gehört trotz seiner weltweiten Popularität nicht gerade zu meinen Favoriten, und schon gar nicht an diesem Sommerabend, aber ich muss zugeben, dass dies eine Inszenierung ist, die ob ihrer choreografischen Musikalität und ihrem harmonischen tänzerischen Fluss die Kompanie von ihrer besten Seite zeigt. Die aber auch, verstärkt durch Mitglieder des Junior Balletts, zahlenmäßig imponiert (übrigens auch in der farblichen Eleganz der von Heinz Berner entworfenen Kostüme). Wieder bewundere ich Spoerlis Erzprofessionalismus (auch wenn ich mir wünschte, die Rolle des Nussknackers wäre dramaturgisch kohärenter integriert). Und sie bietet ein enormes Rollenaufgebot – gute tänzerische Hausmannskost, die von den Zürchern sichtlich genießerisch goutiert wird. Nicht nur von den beiden Hauptrollenpaaren Yen Han als Marie und dem charmant lausbubenhaften Dmitri Govoroukhine als Fritz, sowie den schon im ersten Akt als Cousin nebst Freundin eingeführten Stanislav Jermakov und Lara Radda, die dann im Divertissements-Akt als Pas-de-deux-Partner auch technisch lupenreine Klassik demonstrieren können (besonders er mit seinen weitbögigen Sprüngen – auffallend aber auch Arman Grigoryan als unermüdlicher italienischer Entrechateur). Kurzum: alles in allem eine Ballettvorstellung, die den Tänzer wie dem Publikum ausgesprochen Spaß gemacht hat (und sogar mir, der ich nicht unbedingt zu den „Nussknacker“- und „Cinderella“-Fans gehöre).

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