Das Stuttgarter Ballett mit „Celebrate Balanchine!“

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Stuttgart, 17/07/2004

Ein Abend in reinstem Balanchine-Blau – anlässlich des 100. Geburtstags von George Balanchine (ein bisschen spät, denn der war bereits am 22. Januar). Das heißt auch: ein Abend von höchstem musikalischen Anspruch – und der sogar noch gesteigert, denn alle drei Stücke sind ausgesprochen streicherlastig – die anfangs gegebene „Serenade“ von Tschaikowsky und Strawinskys „Apollo“ sowieso – aber auch die finalen „Vier Temperamente“ von Hindemith firmieren als Klavierkonzert mit Streichorchester. Ein Anspruch, dem das unter der Leitung von James Tuggle und mit Glenn Prince als Solisten mit höchster Konzentration musizierende Staatsorchester glänzend gerecht wurde – ein wahrhaft Königlich Schwäbisches Consort.

Ein Abend aber auch, der beweist, was Reid Anderson als Ballettchef inzwischen seinem Publikum, von den Tänzern einmal gar nicht zu reden, zumutet und zutraut: denn leichte Kost sind sie nicht, diese drei konzertanten Choreografien. Und so fiel denn auch der Beifall an diesem Abend freundlich und einhellig zustimmend aus, ohne indessen die Hitzegrade zu erreichen, wenn die Kompanie ihre dramatischen Knallkörper zündet.

„Serenade“, 1934 entstanden, mutet wie ein Abschied von der Alten und ein Willkommensgruß an die Neue Welt an, bedarf indessen noch dringend der Linienbegradigung (wie auch manche Ensembleformationen im letzten Stück), gewinnt aber an Dichte und Dynamik, wenn Julia Krämer in glückverlorener Seligkeit, von Filip Barankiewicz in partnerschaftlicher Eleganz akkompagniert, die Führung übernimmt. Dann reichen sie ihren tänzerischen Impetus an Alicia Amatriain weiter, die Ivan Gil Ortega wie Orpheus mit verbundenen Augen auf die Bühne geleitet, zum Trio mit Sue Jin Kang komplettiert, um am Schluss dann Krämer hoch über den Köpfen wie eine Freiheitsstatue der Sonne entgegen segeln zu lassen. Eine Hommage, die nicht nur Balanchine gilt, sondern der Schönheit des Balletts.

Aber das ist natürlich auch „Apollo“, diese Geburt aus der Musik zwischen Michelangelo und Strawinsky. Douglas Lee heißt Stuttgarts neuer Gott der Sonne und des Lichts, der erst einmal selbst lernen muss, sich auf der Erde zu bewegen, um dann seine Gefährtinnen in ihre Aufgaben einzuweisen: die vorlaute, immer wieder über sich selbst erschreckende Calliope der Elisa Carrillo Cabrera, die stumme, sich ganz der Lust ihrer musikalischen Inspiration hingebende Polyhymnia der Roberta Fernandez und schließlich die ganz klassisch sich entfaltende Terpsichore der Alicia Amatriain. Erst nachdem er die drei so eingestimmt hat, absolviert Lee seine Modelllektion, wie wahrhaft göttlicher Tanz auszusehen hat, bevor er sich dann mit Terpsichore vereint, um an die wahre Bestimmung der Menschen zu erinnern und dann auch schon wieder auf den Olymp heimkehrt. Lee tanzt das wie ein Huldigung an die bevorstehenden Olympischen Spiele – und ertanzt sich damit die Goldmedaille des Abends.

Und dann auch noch die „Vier Temperamente“, dieser elektrisierende partnerschaftliche Dialog zwischen der Musik und den Solisten auf der Bühne, aus deren Gliedern die tänzerischen Funken sprühen: melancholisch verschattet von Alexander Zaitsev und seinen sechs Musen (mit leichtem Koordinationsdefizit), die sich ganz in der Seligkeit ihres Walzers verströmenden Sanguiniker Maria Eichwald und Mikhail Kaniskin, der resignierend sich in seine Frustration ergebende Phlegmatiker Jason Reilly und die tempestuos wie eine Amazone einherstiebende Cholerikerin Diana Martinez Morales. Aber das Schönste an dieser nach wie vor so ausgesprochen knackig modernen Choreografie ist doch das Finale, wenn alle 25 Tänzer im Medley auf die Bühne strömen und uns mit ihren Armen ihre Lust signalisieren, eine so brillante Choreografie tanzen zu dürfen, mit den hoch über die Köpfe gelifteten Ballerinen, als ob sie geradewegs den Himmel erstürmen wollten.

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