Celebrate Balanchine!

oe
Stuttgart, 09/10/2004

Ein Spielzeitauftakt, wie handverlesen (und fußgestählt) für den bekennenden Ballett-Fan: die Balanchine-Trilogie der Stuttgarter! Nach dem Try-Out am Ende der letzten Saison, urlaubsgestärkt, frisch gepowert und auf Hochglanz poliert, dass es nur so blitzt und funkelt. Als wollten sie demonstrieren: Voilà – wir sind wieder da, und so wollen wir tanzen, die ganzen zehn nächsten Monate (und noch lange danach)!

Ja, so wollen wir sie haben, wir, das Stuttgarter Publikum, so lieben wir sie. Und so klappt gleich an diesen ersten Abenden der partnerschaftliche Dialog zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum à la Stuttgart, stieben die Inspirationsfunken hin und her. Und auch die Musiker im Orchestergraben werden von James Tuggle in den Sog der Begeisterungseskalation gesteuert, vom Solopianisten David Diamond in Hindemiths „Vier Temperamenten“ angespitzt, mit den lupenrein intonierenden Stuttgart Strings in Strawinskys „Apollon musagète“ (auch wenn der in Stuttgart nach schlechtem New Yorker Vorbild nur noch „Apollo“ heißt – Mr. Apoll sozusagen), bis zu der danach ungemein zart und geradezu sphärisch wie ein Gruß aus apollinisch-olympischen Höhen beschworenen „Serenade“ von Tschaikowsky.

Welch ein Programm – welch eine Qualität! Geradezu ein Ballett-Gesundbad am Beginn der Spielzeit! Und wenn Stendhal seinen Schriftsteller-Kollegen empfohlen hat, jeden Morgen zuerst ein paar Seiten im napoleonischen „Code civil“ zur Reinigung ihres Wortschatzes zu lesen, so erscheint mir das Programm dieses Abends insgesamt wie ein „Code Balanchine“ – das unser Gehirn von all dem Firlefanz reinigt, der ihm sonst zugemutet wird. Tanz vom anderen Planeten, um einen berühmten Ausspruch von Schönberg zu paraphrasieren.

Wie wird das aber auch getanzt: Nicht nur von den Solisten als die Elisa Carillo Cabrera und Evan McKie, Katarzyna Kozielska und Stefan Stewart, Bridget Breiner und Jirí Jelinek die drei Themen der „Temperamente“ exponieren, um sie sodann weiterzureichen an den melancholischen Alexander Zaitsev, die sanguinischen Maria Eichwald und Mikhail Kaniskin, den alle Erdenlast schulternden phlegmatischen Jason Reilly und die amazonenhaft cholerische Diana Martinez Morales – sondern auch von den akkompagnierenden Ensembles – besonders den Quadrillen-Kohorten der Damen, die ihre Beine inzwischen tutti unisono in die Luft schnellen. Welch ein Ballett!

An diesem Abend erscheint es mir wie eine Lecture Demonstration zu Asja-Wossen Asserates vieldiskutiertem Bestseller „Manieren“, eine choreografische Schule des guten Benehmens! Und danach dann also „Apollo“, die choreografische Botschaft aus Strawinskys und Balanchines Olymp – als postolympische Spiele. Athen lässt grüßen. Inzwischen viel selbstverständlicher zelebriert als noch bei der Premiere von Douglas Lee, Alicia Amatriain, Cabrera und Roberta Fernandes – samt Hebammen-Assistenz von Tiziana Minio mit Daniela Lanzetti und Jessica Truesdale. Gereinigt von den pantomimischen Gewissensentschuldigungen, die unterdessen weitgehend ins Abstrakte sublimiert erscheinen.

Doch der eigentliche Clou stand ja noch bevor: „Serenade“ als Abschiedsvorstellung für die vielgeliebte Julia Krämer, gefeiert im Kreise ihrer Kolleginnen und Kollegen Elena Tentschikowa und Amatriain, Reilly und Ivan Gil Ortega plus dreizehn plus vier (ein Corps aus siebzehn Tänzerinnen und Tänzern – wer wagt das heute schon sonst noch!). Sie wird uns fehlen – als moderne Ballerina, die sich ganz in Poesie verströmt – doch eher in der Poesie einer Ulla Hahn als in den märchenhaften Phantasmagorien des Musäus, Heinrich Heines oder Charles Perraults (obgleich sie sich auch deren romantische Kreaturen auf eine sehr heutige Weise anzueignen verstand). Als moderne Frau von rassig-sportivem Zuschnitt verkörperte sie als erste gebürtige Stuttgarterin den neuen Stuttgarter Persönlichkeits-Ballerinentypus – in Fortsetzung der Haydée-Keil-Tradition.

Wie gern hätte ich sie noch mindestens fünf Jahre tanzen und zusammen, vielleicht ja sogar mit Christian Spuck, zu einer symbiotischen Meisterschaft à la Ashton-Fonteyn, Cranko-Haydée-Keil reifen sehen. Doch dafür hat sie zu früh aufgehört (eingedenk des berühmten Gorbatschow-Diktums?). Es hat nicht sollen sein. What a pity! Doch hat sie sich unauslöschlich unserem Gedächtnis eingeprägt: Julia, du warst zauberhaft! Julia, du bleibst zauberhaft (ewig jung in unserer Erinnerung)! Im Übrigen möchte ich mich für die zahlreichen zustimmenden persönlichen Kommentare zu meinem kj „in eigener Sache“ bedanken.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern