In Wassern spiegeln - Nachmittag eines Fauns - Liebe an und für sich

Eröffnung der 6. Balletttage

Oldenburg, 13/03/2003

Schließlich ist der große Spiegel zerbrochen, seine Segmente steigen wie ein riesiges Mobile im Bühnenhimmel auf und nieder, glitzern im Scheinwerferlicht. Der dritte Abschnitt von Martin Stiefermanns Tanzabend mit seiner Gruppe MS Schrittmacher am Oldenburger Staatstheater fährt spektakuläre Effekte auf, etwa, wenn sich der glänzende Boden in Einzelteile plötzlich auflöst und an Seilen emporgehoben wird. Zuvor haben die acht Tänzer*innen sich bereits ihren Spiegel aus dem wie ein Puzzle zusammengesetzten Bühnenboden (Bühne: Stiefermann) herausgebrochen, tragen sie mit sich herum.

Narzissmus ist das Thema von Stiefermanns neuester Schöpfung, die zur Eröffnung der 6. Internationalen Balletttage uraufgeführt wurde. Bei ihm spielt sich alles in einem Schwimmbad ab: Das leere Becken, eingefasst von einem begehbaren Rand wie eine Empore, dient als widerspiegelnde Tanzfläche. Stiefermann unterteilt sein Werk in die drei Abschnitte „In Wassern spiegeln“ – „Nachmittag eines Fauns“ – „Liebe an und für sich“. Dabei spannt er den Bogen vom Mythos des Narzissus über die durchdeklinierte Paarbeziehung bis zur Selbstbespiegelung des/der Einzelnen. Stiefermann versteht es meist, die reichlich hochgestochene Vorlage sinnlich umzusetzen zur Musik von Claude Debussy. Für den ersten Teil nimmt er die Nocturnes. Narziss betrachtet von oben, vom Sprungbrett, das Treiben grün gekleideter Nymphen auf dem Beckenboden, bald lässt er sich herunter, wehrt alle Annäherungsversuche ab, ob von Männlein oder Weiblein, auch die der hinzukommenden acht Aonier (Ureinwohner Böotiens). Bis zu seinem Zusammenbruch befühlt, betastet, liebkost er sich selbst. Seinen Körper bedecken die Aonier und Nymphen mit Narzissen.

Dem blassen Jeroen Mosselmann fehlt die erotische Anziehungskraft des Narziss - vielleicht aber hat Stiefermann das bewusst mit dieser Besetzung unterlaufen wollen, um ihn nicht zu dominierend werden zu lassen. Jedenfalls ich habe das Zentrum vermisst. Der zweite Teil zu „Prélude a l´après-midi d´un faune“ setzt an mit einer Frau und einem Mann, nebeneinander vor einem Zwischenvorhang im Spot, sie bewegen zeremoniell abgezirkelt fast nur Arme und Oberkörper, wenden sich zueinander, ohne sich zu berühren. Als sich der Vorhang hebt, staffeln sich hinter den vorderen zwei Tänzern vier weitere Paare in die Bühnentiefe: Die Frauen tragen bodenlange, weit geschnittene, weich fallende Kleider mit engem Oberteil, die Herren Fräcke - alle in der Farbe Blau (Kostüme: Birgit Wentsch). Nun entwickelt Stiefermann, musikalisch getanzt, eine faszinierend fließende Folge von Raumfiguren mit immer neuen Formationen, mit dem zeitweiligen Verschmelzen von Mann und Frau zu einer Gestalt, die sich wieder in zwei Menschen auflöst. Hier und da tauchen verfremdete Zitate aus der Originalchoreographie von Nijinskij auf.

Im Schlussteil „La mer“ tummeln sich vereinzelte Wesen, die unfähig sein sollen zu echten Kontakten. Sie bleiben bloße Behauptung in diesem weitaus schwächsten Teil des Abends, in dem sich die Tänzer*innen narzisstisch eitel spreizen, zunehmend zieht es sich hin, fällt die Spannung ab.

Ein Ärgernis ist das Programmfaltblatt, in dem die Musik Debussys mit keinem Wort erläutert wird. Das Oldenburger Orchester bewältigte die Partituren mehr als respektabel. Dirigent Eric Solén betonte den schwebenden Charakter der Nocturnes, holte die sinnlichen Klangfarben des „L´après midi“ plastisch heraus. Nur bei „La mer“ hätte er ein wenig mehr Größe walten lassen können. Begeisterter Beifall des Publikums im fast voll besetzten Zuschauerraum.

Die 6. Balletttage, für ein mittleres Theater wie das Oldenburger eine staunenswerte Leistung, laufen noch bis zum 23. März. Unter anderem treten das Szeged Contemporary Ballet (Ungarn), Aterballetto und das Nederland Dans Theater III auf.

Kommentare

Noch keine Beiträge