Aterballetto-Gastspiel bei Oldenburger Balletttagen

Oldenburg, 20/03/2003

Volles Haus, begeisterter Applaus - was will man mehr als Veranstalter! Das italienische „Aterballetto“ aus Reggio Emilia gastierte als sechste Compagnie bei den 6. Balletttagen am Staatstheater Oldenburg. Im Gepäck hatte sie drei Stücke ihres künstlerischen Leiters Mauro Bigonzetti. Sein Stil lässt sich etwas pauschal als eine Art dynamisierter Yoga bezeichnen - ohne die spirituelle Note. Immer wieder führt er seine 19 sehr ansehnlichen, technisch versierten Tänzer*innen in sehr komplexe, langsame bis rasend schnelle Abläufe, als wollte der Körper auseinanderstreben: Hüfte schiebt sich nach links, rotiert, Schultergürtel verlagert sich nach rechts, Bauch zieht sich wie bei einer weichen Contraction nach innen, Arme stoßen nach vorn. Anfangs verblüffend, nutzt sich der Effekt rasch ab, scheint mehr Artistik als gestaltete Form. Klassische Elemente (Arabesque, Touren etc.) bilden den zweiten Pfeiler von Bigonzettis Bewegungsmaterial.

Dunkle Bühne zu Beginn des ersten Stücks „Omaggio a Bach“: Zur Aria aus den Goldbergvariationen - Glenn Gould brummt dazu - fährt der dünne Lichtstrahl von Taschenlampen an Armen entlang, beleuchtet Gesichter, Oberkörper. Geheimnisvoller Auftakt. Scheinwerfer schneiden einen Mann aus der Schwärze, er wölbt seinen Bauch vor, zieht ihn ein, tritt schließlich ins volle Licht. Das Geschehen, zu weiteren Kompositionen Bachs, verdichtet sich zur einer 19-er Reihe, in der sich nach und nach alle miteinander verketten. Paare schälen sich heraus, traktieren sich mit Bissen oder Küssen an verschiedenen Körperteilen. Mit der Wiederholung der Aria, diesmal gespielt von einem Akkordeon, liegen sich gewissermaßen alle in den Armen, küsst sich das mittlere Paar demonstrativ vorn an der Rampe. Pathetischer Kitsch.

Mit dem ersten Werk hat Bigonzetti sein choreographisches Pulver weitgehend verschossen. Das vermag auch die brilliante Darbietung seines Ensembles nicht zu verdecken. Zweifelsfrei zu identifizieren ist nur Mach Daudel, die in „Songs“, Musik von Henry Purcell, mit den beiden Männern Adrien Boissonnet und Thibaut Cherradi furios auftrumpft, damit die dürftige Substanz beinah vergessen macht. Sowohl im ersten als auch im dritten Ballett („Furia Corporis“) werden die Tänzer*innen nur in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. So bleibt völlig unnötig verborgen, wer die Hauptpartien bestreitet. Ob zu den vier Songs von Purcell, deren Titel nicht angegeben werden, oder der „Furia Corporis“ zur Musik Beethovens (Abschnitte aus der 9. Sinfonie und Streichquartetten, ebenfalls nicht im dürftigen Programmblatt aufgeführt) - es gelingt ihm nicht, prägnante Bögen zu spannen, Entwicklungen zu gestalten, bei denen offenbar wird, wo die Beziehung zwischen Tanz und Musik liegt, was dort auf der Bühne „verhandelt“ wird außer dem ununterbrochenen Abspulen von Bewegungsfolgen. Elektronisches Pochen zwischen den Beethoven-Fragmenten, weitgehend unverständliche Spracheinschübe, krachendes Geklirrr von Glas oder von links nach rechts wanderndes Eisenbahngeräusch fügen sich mit dem oft hektischen Hin und Her auf der Bühne nicht zur alles hinwegfegenden „Furie des Körpers“. Dazu passt der platte Schluss. 14 der Mitwirkenden verschachteln sich zu einem kompakten Pulk, von der Seite nähert sich die Solistin, wohl die verkörperte Furia, und stößt mit dem Zeigefinger zu: Glassgeklirr - Vorhang.

Die ganze Breite der Qualitäten seiner blitzsauber tanzenden, höchst präsenten Truppe hätte Bigonzetti wohl weitaus besser herausstreichen können mit Choreographien von William Forsythe und Jiri Kylian, mit ihren über die reine Virtuosität hinausreichenden Herausforderungen. Aterballetto hat sie nach eigenem Bekunden im Repertoire.

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