Und was wird aus dem Stuttgarter Ballett?

oe
Stuttgart, 17/09/2003

Großes Mediengezeter ob der Ankündigung des Ausscheidens von Klaus Zehelein als Intendant der Stuttgarter Staatsoper im Jahr 2006! Als ob in Stuttgart die Götterdämmerung bevorstünde – zumindest im Theater. Mitbetroffen scheinen auch die beiden anderen Sparten, das Schauspiel und das Ballett, deren Intendanten-Verträge ebenfalls 2006 auslaufen. Also steht in Stuttgart für 2006 ein großes Theater-Revirement bevor. Die Überlegungen gehen dahin, ob denn das viel bewunderte Stuttgarter Modell (drei Intendanten für die drei Sparten, dazu ein geschäftsführender Direktor als Vierter im Bunde) aufrecht erhalten werden soll, oder ob man zum früheren Prinzip der Führung der Staatstheater unter einem Generalintendanten zurückkehren soll.

Im Vordergrund steht die Frage nach der Zehelein-Nachfolge. Danach interessiert dann vor allem die Nachfrage, wie‘s denn mit dem Schauspiel weitergehen soll, dessen Intendant Friedrich Schirmer an allen großen Häusern, die ihre Chefposition demnächst neu besetzen müssen oder wollen, hoch gehandelt wird (als da sind Hamburg, Bochum, Hannover, eventuell auch das Berliner Ensemble – bis letzte Woche war auch Zürich im Spiel, das ebenfalls an Schirmer interessiert war).

Kein Mensch – jedenfalls unter den Meinungsmachern – scheint sich dagegen Gedanken darüber zu machen, wie es denn mit dem Stuttgarter Ballett weitergehen soll, dessen Intendant, Reid Anderson, ja ebenfalls einen bis 2006 befristeten Vertrag hat. Anderson hat allerdings wissen lassen, dass er gern in Stuttgart bleiben würde, vorausgesetzt, dass bestimmte Bedingungen erfüllt werden, über die noch verhandelt werden muss. Gleichwohl muss sich Anderson ein bisschen komisch vorkommen, da sein Name in diesem Zusammenhang immer nur nach Zehelein und Schirmer sozusagen als Mitläufer genannt wird. Seiner zumindest scheint man sicher zu sein. Wenn man sich da nur nicht täuscht! Es ist ja durchaus bekannt, dass Anderson zu den erfolgreichsten Ballettchefs der Welt gehört, so dass bei ihm (wie bei John Neumeier in Hamburg) laufend angefragt wird, wo immer ein entsprechender Posten neu zu besetzen ist. Aber das wird von der deutschen Medienöffentlichkeit überhaupt nicht zur Kenntnis genommen – zumal da es sich auf internationaler Ebene abspielt (während beispielsweise Schauspiel-Intendanten nur im Rahmen des deutschsprachigen Theaters gehandelt werden – und auch Opern-Intendanten nur ausnahmsweise aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland als Kandidaten in Frage kommen – siehe den Engländer Peter Jonas in München. Denn Alexander Pereira in Zürich kommt aus Wien, Ion Holender war lange Wien als Agent tätig, bevor er Staatsoperndirektor wurde. Nur Leipzig hat sich sonst noch auf einen Ausländer eingelassen: den Franzosen Henri Maier).

Ich sehe darin eher eine Geringschätzung der Arbeit Andersons – zumindest bei den Meinungsmachern, bei denen die Oper und das Schauspiel eindeutig vor dem Ballett rangieren – was sich nicht zuletzt ja auch in der Medienberichterstattung abzeichnet. Das Publikum scheint das jedenfalls anders zu sehen. Der jüngsten Statistik zufolge erzielte das Stuttgarter Ballett die höchste Auslastung der Württembergischen Staatstheater mit 93,6 Prozent – vor der Oper (90%) und dem Schauspiel (86,7%). Das wäre die höchste Auslastung aller Ballettkompanien an den deutschen Opernhäusern (Wuppertal ist keine Ballettkompanie) – wäre da nicht das Ballett Frankfurt mit 94,9% (bei allerdings nur 17 Vorstellungen – gegenüber Stuttgarts 89 Vorstellungen). Nicht vorzustellen vermag ich mir, was denn wohl geschähe, wenn Anderson sich 2006 sagte: „Wenn denn meine Arbeit von den Stuttgarter Meinungsmachern derart herablassend bewertet wird, braucht ihr euch nicht zu wundern, dass ich mich nach einem anderen Job irgendwo in der Welt umsehe. Vielleicht ja als Nachfolger von John Neumeier in Hamburg, der gerade bekundet hat, dass seine Tage in der Freien und Hansestadt gezählt sein könnten, wenn die Kulturbehörden ihn weiterhin mit ihrer kleinkalibrigen Politik hinzuhalten gedenken, die so gar nicht mit seinen internationalen Perspektiven in Einklang zu bringen ist“ (siehe die von ihm angestrebte Institutionalisierung seiner weltweit größten Privatsammlung von Tanzmemorabilia als Museum der Stadt Hamburg). Zwar hat Stuttgart in den vergangenen vier Jahrzehnten schon diverse Ballett-Wunder erlebt (zuerst das Wunder Cranko, dann das Wunder Haydée und zum dritten das Wunder Anderson). Doch dass sich bei einem potenziellen Weggang Andersons zum vierten Mal das „Stuttgarter Ballett-Wunder“ ereignet, darauf sollten sich diejenigen, die für den Fortbestand des Stuttgarter Balletts Verantwortung tragen, lieber nicht verlassen!

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