Tanzpreisgala für Gregor Seyffert

oe
Essen, 21/03/2003

Zum zwanzigsten Male also die Gala anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2003 an Gregor Seyffert – wieder im jedes Mal aufs Neue einladend-attraktiven Aalto-Theater in Essen, sicher dem schönsten deutschen Theaterbau des letzten halben Jahrhunderts. Die Eröffnung diesmal etwas anders: mit dem Defilée der Schüler aus der Staatlichen Ballettschule Berlin zur Polonaise aus Glinkas „Ein Leben für den Zaren“. Genau die richtige Einstimmung vor dem Grußwort Ulrich Roehms an die zahlreichen Gäste und Sponsoren.

Dann ging es gleich zur Sache – mit Robert North‘ unverwüstlichem „Troy Game“, ausgeführt von acht dieser Energiebündel von der Berliner Ballettschule. Entsprechend das Ansteigen der Beifallstemperatur im Saal. Die hielt nicht ganz durch während der enormen Länge der mystisch vor sich hin wuselnden „Landschaft mit Schatten“ des Spaniers Juan Carlos Garcia, in der sich Gregor Seyffert mit seiner Solistengruppe Berliner Tänzer, darunter die vorzügliche Sandy Delasalle und Raimondo Rebeck, präsentierte: mehr Schatten, Nebel und so wolkenverhangen wie die Berliner Ballettlandschaft. Dann wurde erst einmal wieder geredet vom Bürgermeister Norbert Kleine-Möllhof, der mit Nachdruck für Essen als Tanzstadt warb und danach spritzig, pointiert, witzig und nicht ohne Selbstironie vom Laudator Gregor Gysi. Der benutzte seine Huldigung an den Crossover- und Allround-Artisten Gregor Seyffert zu einer vehementen Philippika über die Geringschätzung des Balletts durch die Politiker und warb mit Nachdruck für eine Stärkung der Tanz-Lobby. Sein Wort ins Ohr des in der ersten Reihe sitzenden Berliner Kultursenators Thomas Flierl, bisher ja nicht unbedingt als ein Parteigänger Terpsichores bekannt.

Dann war es endlich soweit und Roehm überreichte seinen Preis an Gregor Seyffert, der nach den diversen Dankadressen mit sichtlicher Bewegtheit auf die gegenwärtige lamentable Weltsituation zu sprechen kam und eindringlich für die vielen unschuldigen Opfer und Verfolgten des von den Politikern verursachten Chaos warb: ein Künstler, ganz im Hier und Heute verwurzelt, der seinen künstlerischen Auftrag als eine humane Botschaft an die Menschheit versteht. Und der sich genau in diesem Selbstverständnis ganz eins mit Nijinsky weiß, den er nach der Pause dann in seinem großen Solo als „Clown Gottes“ zu Strawinskys „Sacre du printemps“ verkörperte – ein Ausnahmetänzer wie Nijinsky, der die Grenzen seiner Kunst auslotet und entschieden an deren eisernem Zaun rüttelt, doch Gott sei Dank ohne darüber den Verstand und die Kontrolle über seinen so unglaublich energiegestählten Körper zu verlieren: Gregor Seyffert, ein Berliner Tänzer, hundert Jahre nach Nijinsky als Fackelträger einer Kunst, die wie eine Flamme die Nacht unseres Daseins durchlodert.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern