Tanzpreis 2013. Ulrich Roehm mit Georgette Tsinguirides, Aalto Theater

Tanzpreis 2013. Ulrich Roehm mit Georgette Tsinguirides, Aalto Theater Essen

Ein Leben für den Tanz

Ein Doppeljubiläum: Ulrich Roehm und der von ihm gegründete Deutsche Tanzpreis

Der wichtigste Preis für Tanz in Deutschland feiert am 14. Oktober seinen 40. und Gründungsvater Ulrich Roehm heute, am 14. September seinen 90. Geburtstag.

Essen, 13/09/2023

„Alle sagten: ‚Das geht nicht.‘

Dann kam einer, der wusste das nicht,

und hat’s einfach gemacht.“

Ein Leben für den Tanz. Über viele Tanzschaffende wird dieser Satz geschrieben, bei manchen trifft er zu. Bei wenigen trifft er in dem Maße zu wie bei Ulrich Roehm, der sein nahezu ein Jahrhundert umfassendes Leben dem Tanz verschrieben hat. Dass er dem Tanz in allen seinen Facetten bis heute, seinem 90. Geburtstag, nahestehen kann, verbindet ihn wiederum mit wenigen, aber großen Namen: Marius Petipa, Martha Graham, Merce Cunningham oder Hans van Manen. Sie alle waren über ihr 91. Lebensjahr hinaus für den Tanz aktiv und mit diesem untrennbar verschlungen.

Als ältester von drei Söhnen wird Ulrich Roehm am 14. September 1933 in Essen geboren – sechs Jahre später bricht der Zweite Weltkrieg aus, der Vater wird als Soldat eingezogen. Zahlreiche Nächte verbringt die 1898 geborene Mutter Anneliese Hoffmann gemeinsam mit ihren Kindern im Luftschutzkeller – ihren Glauben an das Schöne lässt sie sich dabei ebenso wenig nehmen wie ihre Begeisterung für Kunst und Kultur und vermittelt diese an ihre Kinder. Sohn Dietrich studiert später Operngesang, bei ihrem Erstgeborenen entfacht sie die Liebe zum Tanz. 1927 hatte sie selbst bei einer Vorführung der Hamburger Bewegungschöre Rudolf von Labans tänzerisch mitgewirkt – angeleitet von Albrecht Knust, dem Kinetographie-Lehrer ihres Sohnes Ulrich 30 Jahre später. Angetan haben es der jungen Frau aber vor allem die anthroposophischen Vorträge Rudolf Steiners, weshalb sie ihren Kindern ab 1945, direkt nach Kriegsende, eine Ausbildung an der Wuppertaler Waldorfschule ermöglicht.

Auf Ulrich Roehms eigenem verschlungenem Weg zum Bühnentanz im Nachkriegsdeutschland gelangt er 18-jährig an das Ballett der Städtischen Bühnen Dortmund – hier kommt es zur Begegnung mit der „absolut eindrücklichen Begabung Harald Kreutzberg“, die den jungen Tänzer künstlerisch nachhaltig prägt. Ab 1953 setzt er sein Tanzstudium an der Essener Folkwangschule unter der Leitung von Kurt Jooss, Labans berühmtestem Schüler, fort – Seite an Seite mit Pina Bausch. In der Spielzeit 1958/59 erhält Roehm sein erstes Engagement beim belgischen Ballet de Wallonie und tanzt später parallel bei Gastspielen des Folkwang Balletts bei den Schwetzinger Festspielen wie auch bei den Städtischen Bühnen Essen. Klassische Hochglanzpartien wie der Siegfried in Schwanensee oder Albrecht in Giselle liegen ihm, der sich stilistisch nicht festlegen will, ebenso wie Soloaufgaben in Feenkönigin oder Der grüne Tisch von Jooss; mit diesen beteiligt er sich an Tourneen im In- und Ausland, darunter an einem Gastspiel in die ehemalige DDR, wo er in Dresden erstmals auf Gret Palucca trifft.

Im Jahr 1969 wagt der umtriebige Tänzer Ulrich Roehm den ‚Sprung über den großen Teich‘ und folgt einem Ruf an die Canadian Opera Company. Zu einem Wendepunkt wird die Zeit in Kanada, weil er hier seine große Leidenschaft für die Tanzpädagogik entdeckt. Schon bald kommt Roehm mit dem in Nordamerika längst verankerten Unterrichtssystem der Royal Academy of Dance (RAD) in Berührung und absolviert die Prüfungen in der Londoner Zentrale, um fortan der Canadian Dance Teachers Association (CDTA) anzugehören. Innerhalb kürzester Zeit baut Roehm drei Tanzschulen in Kanada auf und eröffnet 1973 – vor 50 Jahren – parallel in Essen das Ballett-Studio Roehm. Auch hiermit hat Ulrich Roehm ein glückliches Händchen, da sich die neugegründete Ballettschule als so erfolgreich erweist, dass er zurück in seine deutsche Heimat kehrt – für immer. Der Rest ist Geschichte: Bei einem Treffen mit anderen Ballettschulleitungen zur Qualitätssicherung unterbreitet er diesen die hierzulande noch völlig unbekannten RAD-Lehrpläne und vollbringt eine Punktlandung – das voll ausgearbeitete Unterrichtssystem trifft den Nerv der Zeit. Ab 1975 wird Ulrich Roehm als Repräsentant der Royal Academy of Dance in Deutschland und Österreich eingesetzt und gründet noch im selben Jahr den Berufsverband für Tanzpädagogik e.V. (damals „Verband der Ballettschulen in Deutschland e.V.“).

Unter den unzähligen Initiativen auf dem weiten Feld der Ulrich Roehm so am Herzen liegenden Tanzpädagogik zählen in den folgenden Jahren dessen künstlerische Leitungen der Internationalen Sommertanzwoche in Bregenz und des Internationalen Tanzfestivals „Bozen Tanzt / Bolzanodanza“ in Südtirol, wohin Roehm die Crème de la Crème der Tanzpädagogik lockt. Ein weiterer Meilenstein seines Lebens ist die Herausgabe der Mitgliederzeitschrift des Berufsverbandes Ballett Intern, die über 35 Jahre lang mehrmals jährlich erscheint, und für die Roehm die ihrerzeit prominentesten Köpfe des deutschen Tanzjournalismus gewinnt: ‚Ballettpapst‘ Horst Koegler, Hartmut Regitz und Klaus Geitel.

Auch Roehm selbst zählt längst zur deutschen Tanzelite, hält wichtige Kontakte im In- und Ausland, was nicht zuletzt zu seiner Ernennung des Ballet Consultant des China Shanghai International Arts Festivals führt. Der Macher und hartnäckige Dranbleiber Ulrich Roehm wird als starke Stimme für Tanz in Deutschland verstanden, von dem eine ungeheure Strahlkraft ausgeht – auch kulturpolitisch. Es überrascht kaum, dass sich Roehms Name über Jahrzehnte hinweg in bedeutenden Kulturgremien und Verbänden wiederfindet, darunter als erster Vorsitzender des gemeinnützigen Fördervereins Tanzkunst Deutschland e.V., als Gründungs-Vorstand des Fonds Darstellende Künste e.V. oder als Mitglied im Executive Commitee des Conseil International de la Danse / CID – UNESCO, im Internationalen Theaterinstitut / ITI wie auch im Kulturbeirat der Stadt Essen. Ulrich Roehms Einsatz für den Tanz kennt kaum Grenzen, das wissen viele, auch diejenigen, auf die es ankommt: 1995 wird Roehm, während der Verleihung des Deutschen Tanzpreises an seine Lebensfreundin Pina Bausch, mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens geadelt. Bei der diesjährigen Preisverleihung erhalten Bauschs Tänzer*innen der ersten Stunde Malou Airaudo, Josephine Ann Endicott, Lutz Förster und Dominique Mercy den Deutschen Tanzpreis – ein Kreis schließt sich, von Laban über Jooss, von Jooss über Bausch und Roehm. Vergangenheit mit Gegenwart und immer wieder die Tanzstadt Essen.

Zahlreiche Anerkennungen hat Ulrich Roehm in seinem langen Leben erhalten, eine, die ihm sicherlich am meisten bedeutet, war diejenige, die er als kulturpolitisches Signal einst selbst ins Leben gerufen hat. Der Deutsche Tanzpreis, der am 6. März 1983 als ‚ehrender Preis‘ für überragende Persönlichkeiten des Tanzes in Deutschland erstmals verliehen wurde. Zunächst ohne große Förderung und Jurys und mithilfe seiner Privatkontakte vor allem nach Stuttgart und Hamburg zu John Neumeier wurde hier eine große Auszeichnung aufgebaut, die seit 2018 vom Dachverband Tanz Deutschland verantwortet wird. Als Ulrich Roehm, der unermüdliche Botschafter in Sachen Tanz und Ballett, den Deutschen Tanzpreis im Jahr 2013 für sein nahezu unüberschaubares Lebenswerk erhält, heißt es in der Begründung der Festrede, die sonst er selbst bei so vielen Preisverleihungen gehalten hat, er sei: „Ein Tänzer vom Scheitel bis zur Sohle“. Dass Roehm den Preis, den er einst gegründet hatte, selbst erhielt, sorgte durchaus für Irritation – aber eine andere Auszeichnung in dieser Größe gibt es in Deutschland nun mal nicht!

Diesem Tänzer und Kulturbeauftragtem auf Lebenszeit, aus dem die Liebe und Leidenschaft für die Kunstform Tanz förmlich aus jeder Körperzelle spricht bzw. tanzt, kann die Tanzwelt nur alles Gute zum 90. Geburtstag wünschen! Ihm gebührt großer Dank, dass er so entschieden dazu beigetragen hat, dass der Tanz heute eine Stimme hat, die auch öffentlich gehört wird. Was einst im Kreise mit Kolleg*innen, zum Teil am eigenen Küchentisch ersonnen, erfunden, angepackt und gegründet wurde, konnte später institutionalisiert, durch erweiterte Jurys und Gremien gestützt und vor allem – mit immer mehr Förderung versehen werden.

Danke für diesen lebenslangen Einsatz für den Tanz, der überlebensgroß erscheint – 90 Jahre Leben für den Tanz, und hoffentlich noch sehr viele mehr!

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