Pina Bausch: Lächeln ohne Grund

Kritische Provokation durch Heiterkeit am Bosporus ersetzt

Wuppertal, 29/03/2003

Pina Bauschs türkischer Tanzabend, in Zusammenarbeit mit dem International Istanbul Theatre Festival und der Istanbul Foundation of Culture and Arts produziert, ist von einem zarten morgen- wie abendländischen Zauber. Die leere Bühne von Peter Pabst, auf der sich später eine zentrale Wasserfläche bilden wird, verwandelt sich nur durch die Art, wie Pina Bausch zwei Männer mit weißen Handtüchern auftreten lässt, in ein Dampfbad. Dazu bei trägt die orientalische Musik, die im Lauf des Abends ein faszinierendes Amalgam mit indischer, europäischer sowie nord- und südamerikanischer Musik eingeht, also beispielsweise bis Tom Waits und Astor Piazzola reicht. Früh etablieren sich die Doppelbödigkeit, Pina Bauschs Spiel mit umgekehrten Vorzeichen, und die humorvoll-bedeutsame Feinheit als Elixiere dieses Abends. Da reißt schon die brutal gegebene Massage, die wenig zu der wohlig schläfrigen Atmosphäre des Hamams passt, die Oberfläche auf, zumal es auch irritieren muss, dass die Zeichen des Genusses von den Masseuren kommen. Da hantieren Frauen ruhig mit Tüchern, um den jeweiligen Männern luftige Wölkchen aus Schaum auf die Rücken zu setzen. Diese Frauen tragen alle langes, offenes Haar und schicke, tief ausgeschnittene, auf den Füßen ausschwingende seidene Kleider in phantastischen Farben (Kostüme von Marion Cito).

Ihre Herkunft aus verschiedenen Ländern weitet die Perspektive auf ein allgemeines Orientales, und zunächst überwiegen die Soli dieser Tänzerinnen: Sie erzählen viel mit Armen und flatternden Händen, präsentieren etwas Sakrales und gleichzeitig Modernes mit dem auf sie übergegangenen verschmitzten Pina-Bausch-Lächeln, jede einzelne im Dialog mit ihrer Seele. Charmante Innenansichten eines emanzipierten Harems! Die Herren in schlichten dunklen Hosen und weißen Oberhemden haben da zunächst eher dienende Funktionen. Zwei von ihnen begleiten beispielsweise als Statussymbole die große Diagonale eines triumphalen Prachtweibs, das mit dem Kommentar: „Und sie kochen auch so gut!“ noch einen drauf setzt. Andere fächeln im tiefen Hockgang den schönen Trägerinnen der langen Kleider mit deren Säumen Kühlung um die Beine. In den Tanztheater-Passagen überwiegt heiteres Understatement, so wenn einer seine Fliege umgelegt bekommt wie sonst eine Dame ihre Juwelen, die bei Pina natürlich nicht vorkommen. Bei ihr hat man vielmehr - wenn unter dem von einer zierlichen Tänzerin immer wieder gehobenen Kleid ein ganzes Rudel hervorkommt und der Text beginnt: „Meine Oma hatte 10 Kinder...“ - den Eindruck, dass nach der liebevollen Substanz einer Zeit gesucht wird, die sich in mediterranen Gesellschaften einfach länger gehalten hat. Natürlich gibt es auch noch (im Stil von Mechthild Grossmann) die großartigen Exaltationen von Cristiana Morganti und Nazareth Panadero, die in ihrer Dynamik zirzensische Züge gewinnen; und schließlich kommen Männersoli: das erste zu orientalisierender E-Gitarre und Schlagzeug, ein orgiastischer Diskotanz, das zweite zu einem Chanson, auch da „tanzt“ alles von den Fingern bis zu den Zehenspitzen. Dann folgen die Zäsur ruhiger Musik, Reihen von Männern und Frauen, wieder das Türkische Bad der Reinigung und Beruhigung, ehe der Wasserfall im Lichtstrahl sprüht und das wahrhaft entspannende Bad in der Natur zeigt, das eines Einzelnen.

Was gibt es noch zu berichten von diesem bilderreichen Tanzabend? Eben dass es vor allem ein Abend des Tanzes war, in dem Pina Bausch über überraschend viele Stile souverän gebietet. Mühelos inszeniert sie beispielsweise klassischen indischen Tanz auf westliche Musik, zeitweise als Pas de deux mit wechselnden Partnern. Wie viel Internationales, wie viel Exotik, wie viel Tanz holt sie aus jeder Musik heraus! Dazu die feuchte Sinnlichkeit des Südens, die warme Luft der Nacht, die Freiheit des Draußenseins, das Subtile der Begegnungen - Wuppertal als eine Bühne, die die Welt erwandert, die Typisches in Bildern kristallisiert, dieses Mal inspiriert vom Lebensraum am Bosporos, wo einige Wochen lang geprobt wurde. Ein Aspekt als Beispiel: Dort ist alles nah am Wasser, und es ist LÄRM! In Pinas Bauschs Tanztheater ergibt das eine herrliche Szene, in der die Gäste von vier oder fünf Restaurants agieren, deren jedes in voller Lautstärke eine andere Musik spielt. Eine chaotische Situation zum Verzweifeln, wenn man nicht so darüber lachen müsste und gleichzeitig die Affinität zum brodelnden Leben spürte. Bedrohlicher ist die Umsetzung des berüchtigten Verkehrschaos in Istanbul, wenn ein Tänzer und eine Tänzerin den überlebensgroßen Fahrzeugen, die auf sie zufahren, ausweichen wollen.

Insgesamt aber ist „Ein Stück von Pina Bausch“, wie es im März 2003 noch ohne endgültigen Titel heißt, frei von beklemmenden, zwingenden Momenten; vielleicht auch ohne die große, leitende Idee. Doch auch wenn dieser Abend vor seiner endgültigen Bearbeitung noch ein wenig ausfasert, ist er mit seiner Fülle von Soli bis hin zum Breakdance schon von der zauberhaften Leichtigkeit und Virtuosität einer an einer unsichtbaren Schnur aufgereihten Auswahl von Haikus. Ist das bereits ein erster Ausblick auf das Alterswerk?

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern