Mitten ins Auge

Die Choreografin Olga Mesa präsentiert heute ihr neues Solo bei der Tanzwerkstatt Europa im i-camp

München, 06/08/2003

Intimität ist eine kollektive Angelegenheit. Der Körper nimmt auf eigene Art und Weise wahr, und die kann einem sehr fremd sein. Was intim ist, wird bloßgestellt. Nach ihrem Solo „estO NO eS MI CuerpO“ („This is not my body“) sagte Olga Mesa, möglicherweise könne sich der Zuschauer darin wiedererkennen, sich an ihre Stelle versetzen. Mit ihrem 1996 entstandenen Stück ist die Choreografin und Tänzerin aus Asturien nach wie vor auf den internationalen Festivals und in den Theatern zu sehen. Es sind die radikalen Annäherungsbewegungen einer Frau an sich selbst, die Olga Mesa in „This is not my body“ ausführte. Sie stellt ihren Körper auf intime Weise aus, ohne gängige Bilder sexualisierter Frauenkörper zu bedienen. Eher zeigt sie dazu die Negativfolie: eine Hysterikerin, die auf Bilder und Töne der Dada-Surrealisten zurückgreift, sie für sich nutzt, ohne sich auf dieses Etikett festlegen zu lassen. Wichtig war ihr dabei, was das Publikum sieht – den Schuh auf dem Kopf etwa oder das Metronom, dessen Pendelgeräusche von ihrem Schädel verstärkt werden. Das Publikum sah die Hand, die sich in den Schritt fasst, die Brust knetet, gegen das Schambein presst.

Aber das, was man sieht, ist diesmal nicht wichtig, sagt Olga Mesa über ihr jüngstes Solo „Suite au dernier mot: au fond tout est en surface“, mit dem sie heute um 20.30 Uhr bei der Tanzwerkstatt Europa im i-camp auftritt. Nach Xavier Le Roys Meisterwerk „Self Unfinished“ und Christina Ciupkes wunderbarer Körper-Licht-Skulptur „rissumriss“ ist Olga Mesa die dritte im Bunde derer, die im intimen Rahmen des i-camp tanzen. „Die Klammer der Stücke dort“, sagt Festivalleiter Walter Heun, „ist die Auseinandersetzung mit dem Körper. Die Arbeit von Olga Mesa, die Video und Bewegung verknüpft, ist absolut faszinierend.“ Für diese Produktion, wieder ein mehrteiliges Projekt, das sie 2001 unter dem Titel „de création en quatre mouvements“ startete, arbeitete Olga Mesa mit dem spanischen Medienkünstler Daniel Guerrero Miracle zusammen, gemeinsam entwickelten sie die Idee zum Echtzeit-Video.

Das Stück kreist um die Erinnerung und ihr Referenzsystem, um den Moment, der sich mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft verbindet. „Die Augen der Zuschauer sind mein Fokus“, sagt Olga Mesa, „ich trete nicht in Interaktion mit ihnen, aber ich bin mir höchst bewusst, dass sie mir zusehen, und ich konzentriere mich darauf, wie ich mich dem Publikum annähere.“ Das verbindet sie mit der Kollegin und Freundin La Ribot, die – wie bei der Ausgabe 2002 des Festivals „Dance“ im Haus der Kunst zu erleben – zwischen den Museumsbesuchern ihren Verrichtungen nachgeht. Mit La Ribot studierte Olga Mesa klassischen Tanz bei Rosella Hightower in Frankreich, später gründeten sie die Kompanie Bocanada Danza, dort tanzte Olga Mesa, bis ihr ein Stipendium an der Schule von Merce Cunningham in New York angeboten wurde. Drei Jahre verbrachte sie in den USA, dann ging sie zurück nach Spanien und gründete 1992 ihre eigene Kompanie. Erste Solowerke entstanden, zeitgleich beschäftigte sie sich mit Video, benutzte es als Dokumentationsmedium und gewann mit „Europa“ den ersten Preis beim Videofestival im portugiesischen Tondela.

In letzter Zeit schreibt sie mehr. „Beides gleichzeitig zu machen“, sagt sie, „fällt mir schwer.“ Dabei interessiert sie die Beziehung zwischen Wort und Bild sehr. Filme von Jean-Luc Godard und Pier Paolo Pasolini haben ihr Werk beeinflusst, und auch in „Suite au dernier mot: au fond tout est en surface“ gibt es eine Referenz auf „Vivre sa vie“. „Durch den Film wird über etwas anderes gesprochen.“ Überhaupt sei dieses Solo eher ein Textstück. Olga Mesa hat es geschrieben, Godard stand dabei Pate. „Zu Hause war ich ständig von Büchern umgeben, ich habe nie eines zu Ende gelesen. Dazu war ich zu chaotisch“, erzählt Mesa, „aber ich habe mit dem Schreiben und Lesen gelebt.“ Heute ist sie fast ständig unterwegs; zu Frankreich ist die Beziehung eng, am Pariser Centre National de Danse fand auch die Premiere ihres jüngsten Werks statt. Den Text für „Suite au dernier mot: au fond tout est en surface“ hat sie auf Französisch geschrieben, für die deutsche Premiere wird sie ihn erstmals auf Englisch sprechen.

Olga Mesa hat Residenz-Engagements in Belgien, in der Schweiz. In Madrid lebt sie. Aber in Spanien sei das Pflaster für zeitgenössischen Tanz sehr hart, sowohl für Veranstalter als auch für die Künstler. „Da fehlt der Kontext für diese Art von Tanz.“ Diese Art meint: Tanz, bei dem der Körper auf der Bühne sehr aktiv ist, aber nicht im herkömmlichen physischen Sinn. Der Körper ist da durch seine Gegenwart, seine Präsenz macht ihn zum Beobachter und zum Beobachteten, zum Medium und zur Botschaft. Ihr Tanz ist genau das nicht, was hier zu Lande im heftigen Orientierungsbemühen „Tanz-Tanz“ genannt wird, um eine Abgrenzung zu haben von Aufführungen, die von Tänzern erdacht und ausgeführt werden und ebenso fraglos den Körper ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, aber nicht so, wie man das gemeinhin vom „Tanz“ erwartet. Über diese Unterscheidung kann Olga Mesa nur den Kopf schütteln. „Ich bin es leid, die Frage zu diskutieren, ob das Tanz ist oder nicht. Das habe ich lange genug getan.“ Darum gehe es doch gar nicht, sagt sie. Es gebe Wichtigeres: das Verhältnis von Alltagsbewegung und Intimität, die Schnittstelle zwischen der Tänzerin und der „Sie“ ihres Textes, die Frage nach dem Status von Realität und Fiktion, der festgelegten Partitur und der Improvisation. „Das Wichtige“, sagt Olga Mesa, „ist nicht das, was man sieht, sondern das, was man denkt.“

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