Bericht über Raiz di Polon“-Aufführung

auf Kampnagel

Hamburg, 27/02/2003

Zeitgenössischen Tanz, aktuelles Theater außerhalb und am Rande Europas will das Festival „Polyzentral“ vom 27. Februar bis zum 15. März diesen Jahres auf Kampnagel im Hamburg vorstellen. „Allen Produktionen ist gemeinsam, dass sie Standortbestimmungen sind“, erklärt Honne Dohrmann, der die Aufführungsreihe zusammengestellt hat. Ausgesucht hat er Gruppen aus Libanon, Mosambik, Bulgarien, Kenia, Tunesien, Ungarn und Hamburg. Die Gruppe „Raiz di Polon“ von den Kapverdischen Inseln machte mit ihrer Produktion „CV Matrix 25“ am 27. Februar den Auftakt. „CV“ steht für Cabo Verde (Kapverden). Glatte Bühnenfläche, aus dem Dunkel schält sich ein Viereck heraus, gefügt aus entrindeten Ästen, im Hintergrund erhebt sich eine schlangenförmige Skulptur aus ebensolchem Gehölz, vorn zieht sich eine Bahn aus vertrockneten Blättern hin - Verweis auf die ständige Dürre auf den Kapverdischen Inseln? Auswanderung ist üblich auf diesen neun Inseln, die, 600 Kilometer vor der westafrikanischen Küste liegend, ehemals portugiesischer Kolonialbesitz waren - mehr als drei Viertel der 1,1 Millionen Kapverdier leben im Ausland.

Weil die portugiesischen Texte der vielen Lieder nicht im Programmzettel übersetzt sind und Hinweise auf die Bedeutung der verwendeten Utensilien fehlen, ist der Zuschauer weitgehend auf Vermutungen angewiesen. Dadurch rückt das Geschehen ins Exotische, Ferne, Entlegene. Da hilft auch nicht die summarische Angabe der Story: Ein Kreole verlässt wegen der Dürre sein Land und sucht Arbeit im Ausland. Eine vertane Chance der Veranstalter, Annäherung zu vermitteln, zumal die Produktion „CV Matrix 25“ meines Wissens bereits im Jahre 2000 uraufgeführt wurde, also genügend Zeit gewesen ist, sich die Informationen zu beschaffen und ans Publikum weiter zu geben.

Die Schrittfolgen von Raiz di Polon (Choreograf: Mano Preto) wirken wie stilisierter Volkstanz, bei den vier Männern kraftvoll mit Körperrhythmen, Hechtsprüngen, Kampfspielen; bei den zwei Frauen im sanften Miteinander wiegend aus der Hüfte heraus. Ausgefuchster „Kunst“-Tanz ist nicht ihre Sache. Eigenständigkeit, ein kapverdischer Stil gar ist daraus kaum zu erkennen. Der zeigt sich eher in den Gesängen und beim Instrumentarium, wie der scheppernden Trommel. Die Tänzerinnen und Tänzer singen und „schlagzeugen“ professionell selber, nutzen ihre Körper als Instrumente. Auch die Laute einer Nacht produzieren sie mit Gurren, Girren, Schnalzen, Pfeifen, Rascheln. Originell nutzen sie ein Holzgestell, das wie das Gerippe einer Transportkiste wirkt (Hinweis auf die Auswanderung?). Sie klettern darauf herum, werfen sie krachend um, setzen sich darauf, zwängen sich rein und raus: Anmutung von kindlich unschuldigem Tun. Die ständig wechselnde Mischung aus suggestivem Gesang, vitalem Rhythmus, atmosphärisch genau gesetzten Lichteinstellungen und dem fantasievollen Umgang mit Gegenständen schafft jenseits des Verstehens eine konzentrierte Stimmung, die über die fünfzig Minuten der Produktion anhält. Mehr als eine Ahnung von Verzweiflung, Melancholie vermittelt sie allerdings nicht.

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