Tragisch ist‘s nicht

„ORT.LOS“

Bremen, 01/12/2002

Gelächelt wird nicht – schließlich geht es um Großes: Im engen, grau getönten Schlauch der Bremer Concordia zeigen die elf Tänzerinnen und Tänzer mit stoischen Mienen die Unmöglichkeit, dauerhaft zueinander zu kommen, sei es körperlich, sei es seelisch. Mit fast heiligem Ernst präsentiert Urs Dietrich in seinem neuen Tanzabend „ORT.LOS“ das Thema der inneren und äußeren Unbehaustheit des modernen, globalisierten Menschen.

Gezielt bewegen sie sich aneinander vorbei, Annäherungsversuche werden im Entstehen abgewürgt. Immer wieder splittert sich das Geschehen auf in Soli. Arme schießen heraus wie zu einem Boxhieb, klatschen um den Körper, ein Bein überkreuzt mit gebeugtem Knie das andere, der ganze Körper knallt zu einer Art Schneidersitz auf den Boden, reißt sich gleich wieder hoch, rutscht seitlich über den Boden... Den vielen, schnellen Bewegungen stellt Dietrich zeitlupenhaft verlangsamte gegenüber, verstärkt durch synchrone Gruppenabläufe. Immer wieder rasen die Frauen und Männer über die Bühne, durchschneiden ein Solo oder ein Duo. Jeder für sich bestechen diese Momente durch eine fast überbordende Bewegungsfantasie, ohne dadurch klar definierte Profile Personen zu entwickeln.

Zum Ganzen fügt es sich nicht - trotz des unbedingten Einsatzes der Tänzer im Schlabberlook. Merkwürdig spannungslos ziehen die Szenen vorüber, durch geschickte Lichtwechsel aufgeteilt (Raum und Kostüme: Urs Dietrich). Einige Bilder bleiben dennoch in der Erinnerung: Die Schattenspiele, die Rionach Ní Néill auf dem Sitzpodest an der Längswand gegenüber den drei Zuschauerrängen absolviert: Ästhetisch reizvolle Mehrdimensionaliät entsteht, vielleicht gedacht als Blick ins unruhige Innere. Nach außen, über die Bühne hinaus, erweitern Spiegel an den beiden Stirnwänden die Sicht: Seitenverkehrte Scheindokumentation. Der bis dahin verweigerte Kontakt blitzt schließlich auf in einer Serie von Partnerwechseln Frau-Mann, Mann-Mann, Frau-Frau, bei denen im brutalen Quickie-Tempo Positionen des Geschlechtsverkehrs cool dekliniert werden.

Echte Gefühle scheinen nur einmal auf: Als sich aus der urplötzlichen Umklammerung zweier Frauen ein artistisches Duo mit Partnerinnentausch entwickelt. Aus Umarmungen gehen sie zu Boden, verhaken ihre Füße, helfen einander wieder hoch – verzweifelte Leidenschaft, erotisch aufgeladen. Ein mitreißender Augenblick.

Schließlich bleibt ein Einsamer auf der Tanzfläche, arbeitet sich langsam in Richtung Ausgang, bis er im Dunkel verschwindet. Ende? Nein, das Ensemble stürzt herein, steigert sich zu Schreien, aus den Lautsprechern tritt weiteres Schreigeräusch ohrenbetäubend hinzu. Dann rhythmisches Schurren und Keuchen im Halbdunkel, Schluss. Tragisch ist‘s nicht, traurig vielleicht, jedenfalls lässt es kalt.

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