Nicht von dieser Welt

In luftig weißen Kleidern taucht „Dividendo“ von Urs Dietrich in die Zwischenwelt ein.

Bremen, 02/11/2009

Schwarze Katzen, kleine Gespenster und gruslige Grimassen kreuzen den Weg zum neuen Schauspielhaus in Bremen. Es ist Halloween und beinahe könnte man meinen Urs Dietrich hätte diesen Abend bewusst für die Uraufführung seines neuen Stückes ausgewählt. An dem Abend, an dem die Geister der Zwischenwelt die Städte heimsuchen, taucht auch das Tanztheater Bremen in die Sphären zwischen Leben und Tod ein. Allerdings auf wesentlich subtilere Art und Weise. Hier gibt es keine leuchtend orangenen Kürbisse, keine plumpe Verkleidung und keine Schlacht um Zuckerzeug. Die Zwischenwelt in „Dividendo“ ist rein, weiß und die Tänzer erscheinen im Licht der Videoinstallation als zart durchschimmernde Gestalten oder durchsichtige Luftgeister.

Kaum merklich flackert zunächst ein Schatten hinter den versetzt angeordneten Papierbahnen auf, die von der Decke auf den glänzend schwarzen Tanzboden hinunter hängen. So unscheinbar, dass man im nächsten Moment schon zu zweifeln beginnt, ob die Erscheinung nicht nur Einbildung war. Es ist einer dieser Momente, in denen wir zwischen Realität und Traum nicht unterscheiden können. Es ist das Gefühl, das uns packt, wenn wir meinen die Anwesenheit eines geliebten Menschen zu spüren, den wir verloren haben.

Urs Dietrich greift dieses Gefühl auf, das bei ihm mal bedrohlich, mal beruhigend erscheint und er begibt sich auf die Suche nach dem Ort zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Leben und Tod. In seinem Stück gestaltet sich dieser als eine Art Zwischenwelt, in der Frauen in bodenlangen weißen Kleidern und Männer in weißen Anzügen miteinander tanzen. Seine Choreographie ist leicht und elegant. In immer wiederkehrenden Drehungen flattern die hauchdünnen Kleider der Tänzerinnen. Die weichen und runde Bewegungen könnten in einigen Momenten beinahe an die Willis, die Luftgeister aus dem klassischen Ballett „Giselle“ erinnern. Doch ohne dem Gefühl einen bestimmten Ursprung zuordnen zu können, wirkt die Szenerie bedrohlich. Vielleicht ist es der Sound, der sich in Klagelauten, Atemgeräuschen, oder einem unbestimmten Dröhnen verliert. Oder die schwarz-weiß-grauen Projektionen, die trotz ihres abstrakten Charakters düster erscheinen. Die Tänzer dazwischen wirken beinahe, als wären sie ihren Körpern entflohen. Mal tritt die Gruppe als flüsterndes Stimmengewirr aus dem Jenseits auf, dann wieder sausen sie wie gegensätzlich gepolte Magneten aufeinander zu und lösen damit die Fluchtreaktion des jeweils anderen aus. Immer aber lösen sich die Bilder darin auf, dass die neun Tänzer plötzlich hinter den Papierbahnen verschwinden und eine leere Bühne hinterlassen, die wirkt als sei nie jemand hier gewesen. Als ob man das eben Gesehene nur geträumt hätte.

Wie Traumsequenzen wirken auch die wenigen, sehr schön choreografierten Duette zwischen Mann und Frau. Vertrauensvoll lassen sich die Tänzerinnen in die Arme ihrer Partner gleiten, die sie wiederum scheinbar mühelos in die Höhe heben. Jede Balancefigur scheint dabei in ihrer Leichtigkeit wie von einer anderen Welt zu sein. Doch auch diese Paarungen lösen sich irgendwann in Luft auf, verschwinden im Nichts und führen auf diese Weise die Vergänglichkeit jeder Beziehung vor Augen. Urs Dietrich schafft starke Bilder einer Unwirklichkeit, die im Zusammenwirken von Bühnenbild, Sound, Installation und Choreografie den Zuschauer berühren und aufwühlen, wenn er sich darauf einlässt. Wirklich Neues gab es tänzerisch zwar nicht zu entdecken, trotzdem war das Ensemble in seiner Zusammenarbeit so stimmig und harmonisch, als käme es nicht von dieser Welt.

Weitere Vorstellungen: 4., 14., 21., 22., 27., 29. November 2009 und 6., 10., 11. Dezember 2009

www.theaterbremen.de

Kommentare

Noch keine Beiträge