„Funny Games“ von Giorgio Mancini, Raul Valdez, Jean Renshaw

Vergebliche Versuche von Männern und Frauen

Karlsruhe, 02/02/2002

Während das Publikum allmählich den Saal des Schauspielhauses füllt, schiebt ein Mann seinen Oberkörper unter dem Vorhang hindurch und spielt nicht sehr engagiert mit farbigen Bauklötzen. Bald öffnet sich der Vorhang, hinter ihm wird eine Reihe Damen und Herren in weißbunter Tenniskleidung sichtbar, die der Mann, ohne sie anzuschauen, mit willkürlichen Kommandos zu kujonieren beginnt. Sie springen vor und zurück, einzeln und gemeinsam. Aus den Lautsprechern erklingen Auszüge aus Kompositionen von Johann Sebastian Bach, niemand kümmert sich mehr um die Anweisungen, alle hüpfen fröhlich um- und durcheinander. Mit der Uraufführung „Bach per gioco“ des Genfer Ballettdirektors Giorgio Mancini nimmt die jüngste Premiere des Karlsruher Balletts einen gelungenen Anfang.

Mancini erinnert sich in dem Werk an seine offenbar unbeschwerte Kindheit, zu deren schönsten Erlebnissen wohl die Freundschaft mit einem Mädchen gehört, der er einen zauberhaften und liebevollen Pas de deux von Alicia Alcazar und Jêrome Delbey widmet, der den Höhepunkt des Stücks bildet. Die hübschen Kostüme von Thierry Good und Mancinis quirlige Bewegungssprache deuten den Titel „Funny Games“ des Programms in einer charmanten, überaus sympathischen Manier. Aber das englische „Funny Games“ lässt sich auf vielerlei Weise deuten, was die Dramaturgin Katajon Peer übrigens auf die unglückselige Idee gebracht hat, sämtliche Texte des Programmheftes mit nervenden Fußnotensternchen – auch mitten zwischen den Buchstaben – zu verunzieren, die auf mögliche Interpretationen dieses Begriffs weisen.

Raul Valdez, dessen choreografisches Talent Ballettdirektor Pierre Wyss während seiner Braunschweiger Zeit entdeckt hat, wo Valdez Tänzer war, und es nun nachhaltig fördert, interpretiert den Programmtitel in seiner zweiten Uraufführung für Karlsruhe, „In Another Room“, denn auch ganz anders. Das Stück beschreibt in unerhört dynamischer, rigoroser Art die vergeblichen Versuche von Frauen und Männern, zueinander zu finden. Die Männer haben gewissermaßen als Stützpunkt ein oranges Baugerüst, in dem sie sich bei der Kleiderausgabe die Jacken ihrer brombeerfarbenen Samtanzüge aushändigen lassen, die Frauen warten, ebenso gekleidet, auf Blöcken. Während Musik von Henryk Górecki und elektronische Klänge ertönen, stürzt man und frau sich aufeinander, wehrt ab und umklammert, trennt sich, nimmt neue Anläufe. Aber wer immer sich auch wem zu Füßen wirft – es bleibt ein Kampf, der im kalten Nebel endet.

Dem Prinzip des großen Aufwandes zum Erzielen eines vergleichsweise bescheidenen Ergebnisses hängt diesmal auch die sonst so effektive Jean Renshaw mit ihrer Erstaufführung „Roadrunner“ an. Sie schlägt in diesem komisch-grotesken Werk gleich auf alles ein: Konsumterror und -rausch, Medienüberflutung, Abstumpfung der Sinne, Kaputtsparen des Balletts, Verlust der Individualität und dergleichen. Über weite Strecken ist diese Choreografie tatsächlich zum Kaputtlachen, vor allem dank der hinreißenden Schwänin Gabrielle Vincent, die gleich am Beginn von der Bühne emporgezogen wird und von oben verzweifelt und vergeblich trachtet, durch Schimpfen, Kreischen und Maulen auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen.

Auch ihre späteren Versuche, ihr einstiges Terrain zurückzuerobern, werden mitleidslos beendet. Das Volk tanzt zu rumorender Musik von John Adams teilnahmslos mit allerweltsmodernen Bewegungen vor sich hin, ein grüner Drache schlurft über die Bühne und gähnt „Mahlzeit“, in einem permanenten Fernsehkrimi bringt die Tote ihre eigene Blutlache mit. Man amüsiert sich und versteht und ist einverstanden, aber man spürt auch gelegentlich etwas Langeweile. Nach dem Drachen hätte ja nicht auch noch Mickey Mouse sein müssen, und der wiederholte Gag mit dem Handy in der Ballettprobe ist vielleicht auch kein richtiger mehr.

Doch sehen wir Renshaw die kleinen Längen nach. Denn am Ende macht sie uns doch etwas Hoffnung: Als sich der Vorgang senkt, ist als Einzige die Ballerina übrig geblieben und verbeugt sich artig vor den jubelnden Zuschauern, die diese abwechslungsreichen „Funny Games“ offenbar von Herzen genossen haben. Am 10. Februar wird das Programm durch die Uraufführung des Duos „Schachmatt“ von Pierre Wyss ergänzt, mit Benito Marcelino als Gast.

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