Blick hinter die Kulissen

Tanz im Entspannten auf Du und Du

Stuttgart, 19/01/2002

Das Stuttgarter Ballett gewährt seinen Anhängern wieder den so überaus beliebten und informativen „Blick hinter die Kulissen“, eine diesmal neun Termine umfassende Veranstaltungsreihe im Kammertheater, die nicht nur einen besonders intensiven Kontakt mit Tänzern, Ballettmeistern und anderen Fachleuten der Compagnie und der John-Cranko-Ballettschule bietet, sondern vor allem auch Kenntnisse über den Tanzalltag vermittelt, ohne die das Verstehen dieser Kunst eigentlich kaum möglich ist.

Das Kammertheater ist wieder zu einer gemütlichen, hügeligen Bistrolandschaft umgebaut worden, in der die Zuschauer an und auf einem abenteuerlichen Tische- und Stühlesortiment aus dem Theaterfundus sitzen, umgeben von skurrilen Dekorationsstücken aus der gleichen Quelle. Sie können sich mit Wein, Säften, Kaffee und Brezeln versorgen – mit dem Tanz im Entspannten auf Du und Du sozusagen. Den Auftakt machte, von demonstrierenden Tänzern assistiert, Ballettintendant Reid Anderson mit seiner Spezialdisziplin, dem Pas de deux und dem „Partnern“. Darin ist ihm keiner über, charmant und spontan Kenntnisse und Anekdoten zu vermitteln, Tricks und Gefahren zu erläutern und überhaupt ein unerschöpfliches Füllhorn an Erfahrungen auszuschütten.

Den zweiten Abend bestritt Birgit Deharde, neben der noch immer unersetzlichen Georgette Tsinguirides seit fünf Jahren Choreologin beim Stuttgarter Ballett. Der Begriff ist eigentlich missverständlich. Er meint das Aufschreiben von Tanz in die von der Musik bekannten fünf Notenlinien. Aber weil sich der Terminus „Choreografie“ bereits für das Festlegen der Bewegungen eines Tanzstückes eingebürgert hatte, als der tschechische Maler und Musiker Rudolf Benesh in England seine Tanzschrift entwickelte (1955 patentiert), musste er mit „Choreologie“ vorlieb nehmen. Trotz der Bemühungen vieler Vorgänger, hat erst Beneshs Tanznotation wirklich verhindert, dass Ballette nur durch mündliche Überlieferung (wie alle Klassiker) erhalten bleiben und damit zwangsläufig verfälscht werden.

Birgit Deharde, liebenswürdig und augenscheinlich in hohem Maße kompetent, hielt eine Art akademischen Vortrags, erläuterte anhand von Projektionen die Grundzüge der Choreologie bis hin zu einfachen Schritten und Sprüngen, von Katarzyna Kozielska und Jorge Nozal leibhaftig demonstriert. Und was anfangs noch leicht begreiflich und vielleicht sogar simpel erscheinen mochte, das erwies sich beim Blick auf die etwas komplizierteren „Scores“ denn doch bald als für Laien unentzifferbares Gewirr von Symbolen, Bögen, Punkten, Linien und Kreuzen. Des Staunens war kein Ende. Zum Abschluss tanzten Katarzyna und Nozal, begleitet von kurzerhand aus dem Publikum rekrutierten Ballettschülerinnen, zwei Szenen aus John Crankos „Pineapple Poll“ mit der dazugehörigen, nun vollends rätselhaften, Aufschrift als dekorativem Hintergrund. Viel dankbarer Applaus.


Die nächsten Termine: Anderson stellt die „Neuen Gesichter“ der Truppe vor (19. Januar, 12 Uhr), Tadeusz Matacz berichtet über „Einen Tag in der John-Cranko-Schule“ (20., 12 Uhr), vier Ballettmeister erläutern ihre Arbeit (20.), Fritz Höver: „Wie eine Choreografie entsteht“ (21.), „Pleiten, Pech und Pannen“ (22.), erneut John-Cranko-Schule (23.). Alle Aufführungen werden von Tänzern begleitet, Beginn jeweils um 19.30 Uhr.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern