Balanchine / Robbins / Godani

Doppeldebüt von Lukas Slavicky, erster Auftritt von Lucia Lacarra und Cyril Pierre

München, 07/06/2002

Zum letzten Mal in dieser Spielzeit „Balanchine/Robbins/Godani“, der Dreiteiler, der Ende März Premiere hatte – eine besondere Vorstellung wegen erneuter Debüts: Im Auftakt-Allegro zu Balanchines „Brahms-Schönberg Quartett“ tanzte Irina Dimova nicht immer flüssig, wusste aber mit sehr bewusst gesetzten Akzenten zu gefallen. An der Seite Michelle Nossiters, die mit den Armen lyrisch sang, aber in den Beinen nicht genügend Spannung hatte, war Lukas Slavicky der zweite Debütant. Er tanzte technisch makellos mit feiner Nuancierung und der jugendlichen Frische, die sein Markenzeichen ist.

Im anschließenden Intermezzo zeigte Maria Eichwald mit Christian Ianole erneut eine Weltklasse-Leistung, die auch vom Publikum honoriert wurde, ehe Slavicky im Andante con moto zum zweiten Teil seines Debuts antrat. Mit der subtil-fragilen Elena Pankova, die womöglich – was (vgl. koeglerjournal zum 28. Mai) die Ballettgötter verhindern mögen!!! – zum letzten Mal auf dieser Bühne tanzte, gelang ihm eine schnörkellos überzeugende ästhetische Linie und zusätzlich eine grandiose Variation. Slavickys lupenreine russische Technik und passionierte Präsenz sind ein deutliches Statement dafür, dass auch seine Ernennung zum Solisten nur eine Durchgangsstation sein wird. Im abschließenden Rondo alla Zingarese zelebrierte ein Kirill Melnikov in Bestform sein souveränes Rollenverständnis, umwerfend theatralisch, ja belustigend, während Lisa-Maree Cullum an seiner Seite ihre exzellente Technik genießerisch im folkloristischen Kontext zur Schau stellte.

Im Mittelstück „In the Night“ von Jerome Robbins tanzten erstmals Lucia Lacarra und Cyril Pierre in München. Was für ein schönes Paar, wie freundlich! Ich traf beide am Nachmittag vor der Vorstellung, in der sie das dritte Pas de deux und das vierte Nocturne tanzten – mit einem entschieden gestaltenden Zugriff auf Stil und Musik des Stückes, was künftig viel erwarten lässt, wenn sie am Bayerischen Staatsballett als neue Erste Solisten engagiert sind. Jacopo Godanis „After Dark“ gefällt mir – das bekenne ich – von Mal zu Mal noch besser.

Da es im TanzNetz sehr konträr besprochen wurde, möchte ich hier mit meiner Kritik in der Maiausgabe vom Münchner Kulturmagazin APPLAUS schließen: Wie beim Blick auf Petipa – Fokine – Balanchine, so scheint auch in der Reihe Balanchine-Forsythe-Godani das Ende mit dem Anfang nichts gemein zu haben. Doch der junge Italiener, der mit After Dark für die Ballettwoche 2002 eine Uraufführung geschaffen hat, benutzt in seinem Stück zu Schönbergs „Verklärte Nacht“ immer wieder Techniken, die an William Forsythe erinnern, in dessen Frankfurt Ballett er neun Jahre lang getanzt hat: Wechselnde (Versuchs-) Anordnungen, Brüche und Blackouts bzw. Fadeouts, starke Gruppeneffekte, die den Raum strukturieren, und das Fragmentarische der klassischen Balletttechnik, die in moderne Tanzformen oder Alltagsbewegungen integriert wird, prägen seine Bewegungssprache.

Bei Forsythe wirken diese Elemente, die ihren Ausgang in der Analyse Balanchinescher Formen hatten, genauer, härter, abgeklärter. Jacopo Godani hält alles in einem unaufhörlichen Fluss, geht geradezu lustvoll mit der Gruppe seiner 27 Tänzer um, lässt hier ein Solo, Trio oder Duo, da ein Quartett oder Quintett daraus hervorgehen – manchmal mehreres gleichzeitig. Die Musik scheint er so zu benutzen, dass er auf die Dynamik dessen lauscht, was sie an Energieimpulsen in ihm auslöst. Das verbindet er offenbar mit dem Erahnen einer Situation, die Schönbergs Komposition evoziert. Dabei wird ein anfänglicher Bewegungsimpuls transitorisch durch alle Stationen fortgesetzt, bis er sich auflöst. Und manchmal, besonders gegen Ende, entstehen Konstellationen, die das Thema der „Verklärten Nacht“ des expressionistischen Dichters Richard Dehmel aufleuchten lassen.

Das Ensemble, in dem neben den eher modernen Tänzerinnen Beate Vollack und Sherelle Charge auch weniger auffällige Mitglieder wie Silvia Confalonieri, Andrea Bernhard und Anita Hutchins mit solistischen Sequenzen gefallen, sieht in den Kostümen und dem Licht Godanis gut aus und scheint sich mit dessen Arbeit so wohl zu fühlen, dass es plausibel ist, wenn Ivan Liska weitere Versuche mit ihm vorhat.

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