„American Masters“ in Stuttgart

Stuttgart, 28/03/2002

Die Konsequenz und der kundige Blick für das Wesentliche, mit denen der Stuttgarter Ballettintendant Reid Anderson seit Jahren das Repertoire seiner Truppe mit Meisterwerken amerikanischen Tanzes bereichert, können kaum genug gelobt werden. Mit ihnen bietet er dem Publikum höchste Qualität sowie die Möglichkeit, sein Auge zu schulen und die Geschichte des modernen Balletts zu begreifen. Folglich hätte die jüngste Premiere unter dem Motto „American Masters“, wegen der persönlichen und künstlerischen Beziehungen der drei Choreografen miteinander dramaturgisch blendend zusammengestellt, ein rauschendes Fest werden können. Es hat indes nur zu einem freundlich beklatschten und mit Bravos für Einzelleistungen durchsetzten Erfolg gereicht.

Das lag nicht zuletzt daran, dass George Balanchines „Symphony in C“ (1947), dieses eigentlich funkelnde Juwel neoklassischen Tanzes zu Georges Bizets genialischem Jugendwerk, vom Staatsorchester unter James Tuggle mit schleppenden Tempi musiziert und folglich auch getanzt wurde. Das ist zweifellos der Neueinstudierung von Colleen Neary zuzuschreiben, die das Ballett somit seiner moussierenden Eloquenz beraubt und es zu einem schön anzuschauenden, vorzüglich choreografierten Stück degradiert hat. Unter den durchweg sehr gut agierenden Solopaaren konnten einzig die von aristokratischer Elegie beseelten Bridget Breiner und Roland Vogel völlig überzeugen. Erst im Finale mit seinen die Bühne überflutenden Ballerinenwellen lässt die „Symphony“ etwas von ihrer wirklichen Zauberkraft ahnen. Aber die Stuttgarter haben das Zeug dazu, die Sache in den Folgevorstellungen noch ins Lot zu bringen.

Glen Tetley, dem das Stuttgarter Ballett so unendlich viel verdankt, weil er nach dem Tod von John Cranko aus reiner Freundschaft für zwei Jahre seine Leitung übernahm, wohl wissend, dass er an ihr scheitern musste, hatte selbst die Neueinstudierung seines noch immer singulären Erstlings „Pierrot lunaire“ (1962) zur gleichnamigen Komposition von Arnold Schönberg und Gedichten von Albert Giraud übernommen, der bereits vor einem Vierteljahrhundert im Stuttgarter Repertoire war. Robert Tewsley (Pierrot), Bridget Breiner (Columbina) und Jason Reilly (Brighella) erfüllen diese bittersüße Choreografie des immer wieder Vertrauens und immer wieder enttäuscht Werdens mit immenser Emotion und tänzerischer Sensibilität. Tetley dürfte mit dieser Interpretation hoch zufrieden sein. Schade, dass Salome Kammer ihren beeindruckend dramatischen und vielgestaltigen Sprechgesang nicht immer textverständlich deklamierte.

Zum Schluss als unwiderstehlicher Rausschmeißer die deutsche Erstaufführung von Jerome Robbins' „The Concert“ (1956), eines der wenigen Ballette, die ein Publikum, zumal ein theater- und tanzerfahrenes, von der ersten bis zur letzten Minute zum Wiehern und Glucksen bringen. Robbins versetzt uns in die Köpfe der Zuhörer eines Chopin-Konzertes (Solist am Flügel: Glenn Prince) in denen die Gedanken spazieren gehen. Da sind die Papierknisterer, die auf den falschen Plätzen Sitzenden, die Hingerissenen, die Uninteressierten, mancher träumt vom Gattinnenmord, Zuhörer werden zu Husaren, unternehmen Flugversuche, die Musik wird (dank Hershey Kays Arrangierkunst) zum Gassenhauer, in einer Ballettaufführung („Mistake Waltz“) geht so ziemlich alles schief, was normalerweise gerade noch verhindert werden kann. Und Balanchines „Symphony“ kriegt auch ihr Fett ab, freilich gebührend respektvoll. Das ist natürlich etwas für die Stuttgarter Tänzer, die ihrem Affen ordentlich Zucker geben, Robbins' Slapstick, seine ironischen Charaktersottisen und melancholischen Anwandlungen in lauter kleine Kostbarkeiten verwandeln und ihren Fans damit eine köstliche halbe Stunde schenken. Sue Jin Kang, Robert Conn, Oihane Herrero (!) und all die anderen temporären Kabarettisten waren aufgedreht wie selten. Doch auch hier, trotz all diesen Gelächters, am Ende nur viel Zustimmung, aber keines der sonst so häufigen Beifallsdelirien.

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