Robert Wilson inszeniert Richard Wagners „Siegfried“

oe
Zürich, 18/11/2001

1933 eingeschult, mithin von den Nazis indoktriniert und mit Wagner vollgestopft, habe ich mich nach dem Krieg zu einem bekennenden Anti-Wagnerianer entwickelt. Ein Agnostiker, heißen meine selbsternannten Götter Mozart und Balanchine. Das bedeutet nicht, dass ich nicht ab und zu gern mal wieder „Tristan“ oder die „Meistersinger“ höre. Meine liebste Wagner-Oper ist indessen „Rienzi“ – wohl, weil so viel Meyerbeer in ihr steckt. Nicht viel anfangen kann ich mit dem „Ring des Nibelungen“ (zu nordisch-ideologiebefrachtet) und am allerwenigsten mit „Parsifal“ (zu viel pseudoreligiöses Getue).

Gleichwohl verfolge ich das Entstehen des neuen Zürcher „Rings“ mit einer gewissen gebremsten Faszination (dass ich ihm, von Franz Welser-Möst dirigiert, eine außerordentliche musikalische Qualität attestiere, ist eine andere Geschichte). Jetzt also „Siegfried“, der mich gewöhnlich schon seiner exorbitanten Länge wegen nervt. Nicht so in der Inszenierung von Robert Wilson – wenigstens die ersten anderthalb Akte lang. Einmal, weil Wilson das sogenannte Bühnenfestspiel vollkommen entideologisiert hat – nichts Nordisches bei ihm, eher leicht japanisch stilisierte dekorative Elemente, gerade auch in den Kostümen von Frida Parmeggiani, deren Umrisse Teil der Choreografie Wilsons sind. Jawohl, der Choreografie – diesmal ohne jegliche choreografische Assistenz.

Nein, es wird nicht getanzt, ganz und gar nicht (Gott sei Dank nicht – ich kann das neckische Getue mit Schritt oder Bewegung auf jedem musikalischen Akzent nicht ausstehen – und am allerwenigsten bei Rossini) – nur geschritten, gestikuliert und posiert in dem in ständig wechselndes Licht getauchten Raum. Das ist eine überwältigende ästhetische Erfahrung. Dazu hat Wilson eine Bewegungssprache erfunden, die semantisch unverständlich und doch von zwingender musikalischer Logik ist.

Grundhaltung sind die seitwärts abgewinkelten Arme mit gespreizten Fingern, was vor dem planen Hintergrund die tollsten Silhouetteneffekte ergibt. Man kann sie vielleicht noch am ehesten mit der Taubstummensprache vergleichen. Am souveränsten wird sie vom Volker Vogel als Darsteller des Mime beherrscht und praktiziert. Er sieht aus wie ein Shinto-Priester, der am Amboss-Altar eines Shinto-Schreins eine kultische Handlung zelebriert. Man hängt gebannt an jeder seiner Bewegungen, auch wenn er stillsteht, weil die von ihm eingenommene Pose wie ein gefrorenes Cartoon-Statement aussieht. Siegfried und Wotan bewegen sich zwar auch, aber doch in wesentlich reduzierterem Maße.

Alberich im zweiten Akt zeigt ähnliche Ansätze dieser musikgezeugten Bewegungssprache (oft spiegelbildlich verkehrt, er und Mime sind ja Brüder), aber die verflüchtigt sich zusehends mit dem Tod Mimes, kümmert dann in der Begegnung Wotans mit Erda vor sich hin und läuft vollends leer im ständigen Umeinander-Schreiten von Siegfried und Brünnhilde, das in keiner Weise der erotischen Inbrunst dieser Szene gerecht wird. Schade, denn die von Mime beherrschten ersten anderthalb Akte sind aufregendstes Bewegungstheater.

Gerade weil man in Zürich so ungewöhnlich viel Text versteht, wurde mir die Parallelität der Erweckungsszenen im „Dornröschen“-Ballett und in Wagners „Siegfried“ so bewusst wie nie zuvor. Jetzt warte ich auf einen Choreografenregisseur, der die Erweckungsszene in „Dornröschen“ einmal aus der „Siegfried“-Perspektive inszeniert (vorstellen kann ich mir sogar eine subtil gehandhabte musikalische Interpolation – vielleicht ja auch als Video-Installation).

Kommentare

Noch keine Beiträge