Die russische Ballerina als Medium

Diana Vishnova gastierte zum ersten Mal bei einer deutschen Kompanie und tanzte Manon mit dem Bayerischen Staatsballett

München, 24/11/2001

Nach Elena Pankova und Svetlana Sacharova war Diana Vishnova die dritte Manon aus der Schule des St. Petersburger Mariinski-Theaters, die sich im Münchner Nationaltheater präsentiert hat. Vishnova gilt als die international meistbeachtete Kirov-Ballerina im brillanten Fach. Häufig kennt man solche Stars aus Galas, in denen ihre Qualität kurz aufblinkt. Doch der wahre Glanz entfaltet sich erst, wenn sie das Ganze eines Handlungsballettes tanzen und dabei jede in ihrer Weise durchgängig eine grandiose Linie gestaltet.

Diana Vishnova trug – das darf man sagen – dick auf. Kaum ein Moment ohne neckisches Drehen ihrer schimmernd gemeißelten Schultern, das Wiegen des gleichermaßen üppigen wie schlanken Leibes, einen die größten Amplituden durchfließenden Ports de Bras, dazu Blicke von bannender Faszination und, als Akzente gesetzt, hohe Écartés, Arabesken und wirbelnde Pirouetten. Auf dieser Grundlage stupender Virtuosität ertanzte sie die lebendigste Manon, die sich vorstellen lässt: temperamentvoll, geschmeidig, animierend, ein Mädchen, das jeden Augenblick überrascht scheint, was da mit ihm und der Liebe passiert. Lyrisch-reflektierend genießt sie das, lässt schwellende Emotionen sichtbar durch den ganzen Körper laufen und treibt ihre Pas de deux zu ekstatischer Intensität.

Gleich darauf – so will es die nackte Handlung – verlässt Manon ihren Geliebten mit Monsieur G. M., weil dessen Luxus lockt. Dass dies nicht banal, sondern dämonisch konsequent scheint und die zauberhafte Manon offenbar genau so sein muss, ist nur zu empfinden, wenn Musik und Terpsichore zusammenwirken. Es folgen Rückkehr zum Geliebten, Verbannung, Tod: Die Vishnova meistert auch diese Kurven, endet in völliger Hingabe an Liebe, Schmerz, Erschöpfung. Und erst durch diese leidenschaftliche Hingabe (russische Seele plus exzellente Rollenarbeit) erschließt sich MacMillans Choreographie als mitreißende Interpretation der „Manon“-Dichtung ganz.

Eine so beglückende Vorstellung, in der Paul Connelly das Bayerische Staatsorchester zu dynamisch nuanciertem Farbenreichtum dirigierte, bewirkt kein Star allein. Alen Bottaini als Des Grieux verband seine hervorragende Technik mit Stilreinheit, tanzte jeden Schritt bedeutungsvoll, erfüllt vom Geist des Werks, und bewies als sicher präsenter Partner, dass er höchsten Maßstäben genügt. Kirill Melnikov brachte als Manons Bruder Lescaut überzeugend die nötige Härte ins Spiel, Judith Turos die abgedroschenere Variante von Laszivität, und Vincent Loermans gewann als Monsieur G. M. deutlich an Substanz, wie auch das gesamte Ensemble durch Diana Vishnova zusätzlich befeuert schien. Die Ballettdirektion weiß dankenswerterweise, dass die Kompanie genau das braucht, um hin und wieder über ihrer eigenen beträchtlichen Höhe den Weg zur absoluten Spitze einzuschlagen.

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