4 x Forsythe im Schauspielhaus

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Stuttgart, 05/11/2001

Gibt es eine andere deutsche Kompanie außerhalb von Frankfurt, die vier Ballette von William Forsythe im Repertoire hat? Im Jubiläums-Programm des nunmehr vierzigjährigen Stuttgarter Balletts ist der „4 x Forsythe“ betitelte Abend sicher einer der zukunftsträchtigsten. Er beweist nicht zuletzt, wie kontinuierlich Forsythe hier gepflegt wird, denn „Urlicht“ (zum vierten Satz aus Mahlers „Auferstehungssinfonie“) war 1976 eine der ersten Forsythe-Choreografien überhaupt (entstanden übrigens für eine der Noverre-Matineen), und die den Schluss bildenden „Love Songs“ befinden sich auch bereits seit dem 9. Mai 1979 (nur vier Tage nach ihrer Münchner Uraufführung) im Repertoire – seither verschiedentlich wiederaufgenommen (und diesmal vorbildlich von Melinda Witham betreut – wie denn überhaupt die für die jetzige Jubiläumswoche neuaufpolierten Einstudierungen für den exzellenten Standard der Arbeit im Ballettsaal zeugen).

Neueren Datums sind „Hermann Schmerman“ (kreiert 1992 fürs New York City Ballet – Stuttgarter Erstaufführung 1997) und „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ (Jahrgang 1996), deren Stuttgarter Premiere gerade ein halbes Jahr zurückliegt. Dabei ist das noch nicht einmal das vollständige Stuttgarter Forsythe-Repertoire, schließlich hatte Anderson bereits 1997 auch Forsythes „Approximate Sonata“ für Stuttgart erworben. Wenn Anderson jetzt in seiner fünften Spielzeit Ballettintendant in Stuttgart ist, zeichnet sich inzwischen deutlich die Struktur seines Repertoireaufbaus ab: das Cranko-Erbe als Basis, die klassischen Klassiker („Giselle“ etc. – die aus meiner Sicht am wenigsten gelungenen Neueinstudierungen – kein Vergleich etwa mit Neumeiers Hamburger „Giselle“ oder der Münchner „Bayadère“) –, die modernen Klassiker (hauptsächlich Balanchine, aber auch Robbins, hochgeschätzt van Manen und Kylián sowie Neumeier), dann die Stuttgarter Schule (Tetley, Scholz und Forsythe sowie als Junioren Spuck und Dunn) und schließlich die hartnäckige, naturgemäß unterschiedlich erfolgreiche Bemühung um Uraufführungen von Gastchoreografen (inzwischen immerhin fast zwei Dutzend, darunter Bintley und Bigonzetti und der hier zu seinem internationalen Durchbruch gelangte O´Day). Das ist eine stattliche Bilanz, die keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht – so sehr man seine persönlichen Vorlieben stärker berücksichtigt sehen möchte (auch ich die meinen).

Was mir bei diesem „4 x Forsythe“-Programm besonders imponiert, ist die Qualität der Tänzer, und wie sich bei ihnen mehr und mehr charakteristische Persönlichkeiten herauskristallisieren. Ihnen zuzusehen, ist eine wahre Lust – ich denke da besonders (im Rahmen dieses Programms an Julia Krämer, Sue Jin Kang, Briget Breiner, Patricia Salgado und Alicia Amatriain, an Thomas Lempertz, Eric Gautier, Friedemann Vogel, Alexander Zaitsev und Robert Conn. Und, ich gestehe es, dass es sich dabei durchweg um so schöne Menschen handelt (dabei habe ich Tewsley noch nicht einmal genannt, der an diesem Abend nicht auftrat).

In diesem letzten Punkt allerdings unterscheidet sich das Stuttgarter Ballett doch sehr stark von Forsythes eigenen Frankfurtern. Und das ist auch genau der Punkt, in dem ich mich von manchen der Kritikerkollegen grundlegend unterscheide – und weswegen ich Forsythe-Choreografien lieber von Tänzern solcher Ballettkompanien wie in Stuttgart, Paris, Toronto, Zürich oder München interpretiert sehe als von den Frankfurtern – auch wenn ich mich mit dieser Feststellung als ein hoffnungslos dem klassischen Schönheitskult verfallener Konservativer zu erkennen gebe.

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