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München
IM STREAM WOMÖGLICH BESSER ALS ANALOG
Micha Puruckers "flat rooms – flat dances / tracing action" als Live-Stream
Erst eine Befragung. Dann haftähnliche Isolation. Und zuletzt ein Mensch, der ganz bei sich selbst angekommen ist. Das jüngste Tanzstück des Münchner Choreografen-Urgesteins Micha Purucker für einen Tänzer allein greift die Form eines getanzten Reliefs auf und entwickelt sich über sehr situationsbetonte Momente hinweg. Das ist beeindruckend klar in seiner rein körpersprachlichen Ausdrucksweise.
Nur einige Möbel und wenige Requisiten – darunter so widersprüchliche wie Bierflasche und Wasserglas oder zuletzt ein dick mit Butter bestrichenes Brot – liefern dem Zuschauer oder der Zuschauerin inhaltliche Anhaltspunkte. Man kann die drei aufeinanderfolgenden Szenen vor jeweils unterschiedlich karg bis futuristisch ausgestalteten Wandbereichen deshalb auch völlig unterschiedlich verstehen oder rein atmosphärisch als Stimmungsbild für ein Leben innerhalb der sich aktuell zuspitzenden pandemischen Situation betrachten. Kein Überdruss macht sich dabei breit! Schnörkellos und eindringlich drängt sich jede Sequenz dem Betrachtenden auf.
Der Interpretationsfantasie bzw. Assoziationsfreiheit sind in dieser aus dem Münchner Schwere Reiter live gestreamten Uraufführung „flat rooms – flat dances / tracing action“ an drei aufeinanderfolgenden Abenden jedenfalls keine Grenzen gesetzt. Lediglich dem Raum selbst entzieht Purucker, der seinen Tänzer Michael Heriban persönlich mit der Kamera für das von zu Hause zugeschaltete Publikum einfängt, die Tiefenwirkung. Immer haftet sein Fokus auf dem Interpreten – meist auf dessen Gesicht, Händen und Armen. Bis auf kurze Augenblicke, in denen man grobkörnig aufgelöst die Live-Totale präsentiert bekommt.
Musikalisch steuert der slowenisch-kroatische Komponist Robert Merdžo eine beeindruckende akustische Projektionsfläche bei, die Störgeräusche und entferntes Geplapper ebenso heraushören lässt wie blechernes Donnern, bimmelnde Alarmsirenen, metallische Klopf- und Sägegeräusche oder sich langsam beruhigende Klänge. Je nachdem, ob Heriban einem anderen Mann an einem Tisch gegenübersitzt, sich im nächsten Bild allein mit einem Hocker und einer nackten Pritsche wiederfindet oder am Ende – mal in kaltblaues, mal in warmes, rotes Licht getaucht – sein impulsives Hin- und Hergerissen-Sein zwischen Wut und Verzweiflung, Lethargie und Argumentationsheftigkeit ablegt.
So exponiert der Tänzer hier auch agiert: Noch mehr behält er für sich. 50 kompakte Minuten lang. Das macht den Typen und Puruckers Online-Premiere trotz digitaler Ferne sehenswert.
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