Ausziehen im Selbstversuch

Sommer Ulricksons „Creatures of Habit“ in den Berliner Sophiensaelen

Berlin, 16/07/2004

Reglos und versunken lagern fünf Gestalten vor einer mit flauschigem Fell bespannten Wand. An drei Seiten ist ihr Spielort, der Festsaal in den Sophiensaelen, mit Plastikbahnen verkleidet – ein Licht reflektierender Raum, so steril wie auch die Figuren. Zu Blasgeräuschen, Gitarrenspiel, verzerrter Mundharmonika (Musik: Moritz von Gagern) tauschen sie taxierende Blicke. Eine Frau stakelt auf ihren Pumps zur Mitte, stürzt. Die andere Frau vereitelt diese Flucht. Als sie sich einem Mann nähern will, wehrt der sie nervös fuchtelnd ab. Da trägt ein zweiter Mann sie fort. Doch er hat wenig Freude an ihr, denn sie kippt instabil in jede erdenkliche Richtung. Um sie dennoch zu besitzen, klemmt er sie verrenkt in ein Regal.

Auch im Folgenden finden die Menschen nicht zusammen, weil jeder von fixen Wunschvorstellungen besessen ist. Verhält sich das begehrte Subjekt anders, reagiert der Suchende mit offener Gewalt, rüder Brutalität. Ein Mann streicht egoman vor winzigem Spiegel ständig sein Haar glatt und will das auch bei seiner Partnerin erzwingen. Möchte sich jemand anlehnen, tritt der andere zur Seite und bringt den Lehnbedürftigen polternd zu Fall. Berührungsphobien entladen sich in dieser Welt der Tricks und Täuschungen in jagenden Kämpfen, Vergewaltigungen, Devotheit. Man protzt mit seinen Reizen: dem Geschlecht, den Pumps, den Wellen schlagenden Bauchmuskeln. Zeigt sich ein anderer davon angetan, wird er abgewiesen. Immer wieder hängt sich jemand an Haken auf, gleitet langsam aus einem Kleidungsstück: Ausziehen im Selbstversuch.

Am Ende der Rundumangriffe, Abwehrschläge und Behinderungsattacken, Belagerungszustände, Zärtlichkeitsverweigerungen und Quälexzesse rutscht eine Frau über den Boden und streift so ihr extrem langes Kleid ab. Da erlischt das Licht und auch das knapp einstündige Stück, ohne auf etwas hinausgelaufen, zu einem – mindestens vorläufigen – Ziel gekommen zu sein. Sommer Ulricksons Stück „Creatures of Habit“ beschreibt in sensibel beobachteten, teils beklemmenden Bildern Situationen unseres Alltags und setzt dazu überwiegend gestaltendes Spiel ein. Tanz wird lediglich in Fetzen eingestreut. Wer die Darsteller aus anderen Produktionen kennt, Anna Luise Recke etwa und Florian Bilbao, der weiß, wieviel mehr sie auch als Tänzer einzubringen hätten.

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